Der Mythos der "grünen" Wasserstoffenergie und neue Abhängigkeiten für Europa
Von Maria Müller
Die folgende Analyse ist eine Spurensicherung der CO₂-Vermeidung durch die Nutzung von Wasserstoff (H₂) als Energieträger aus der Sicht der Umweltbewegung in Uruguay, die sich besonders um den Schutz der Süßwasser-Reserven des Landes bemüht. Die Untersuchung entlarvt das Märchen vom "umweltneutralen" Wasserstoff, mit dem die Bevölkerung dazu gebracht werden soll, die eigenen natürlichen Lebensgrundlagen – vor allem das Süßwasser – für die Energieversorgung der Industrienationen Europas und Nordamerikas zu opfern.
Um Projekte zur industriellen Herstellung von Wasserstoff in diesen Ländern politisch zu rechtfertigen und finanziell subventionieren zu können, sprechen die Medien, Regierungen und Unternehmen vor allem vom Ersatz fossiler Brennstoffe durch das "umweltfreundliche" H₂-Gas, wodurch die Erderwärmung abzubremsen sei. Problematische ökologische Folgen der alternativen Technologien existierten demnach gar nicht.
"Sie bezeichnen sich selbst als "grün" und betonen damit den "nachhaltigen" oder "ökologischen" Charakter der neuen Energiewelle".
Das schreibt der Soziologe Daniel Pena von der "Koordinierungsgruppe für das Wasser" in Uruguay in seiner Untersuchung "Sieben kritische Punkte des grünen Wasserstoffs". In der Folge werden Auszüge aus dem spanischen Text kommentiert.
Daniel Pena sagt:
"Eine sinnvolle, tiefgreifende und wissenschaftliche Umweltanalyse dieser vermeintlich nachhaltigen Alternativen muss den gesamten 'Produktlebenszyklus' berücksichtigen. Auch seine Risiken und Nachteile – und nicht nur die Möglichkeit, ein Endprodukt ohne CO₂-Gehalt herzustellen."
Er betont, dass dafür der gesamte Fertigungsprozess (einschließlich aller Energie, Rohstoffe, Land, Wasser) sowie die Infrastruktur für den Transport, die Lagerung und Verwendung des Produkts zu berücksichtigen sind, auch die Entsorgung oder Wiederverwendung von Produktabfällen, und vor allem damit verbundene Umwelt- und/oder Gesundheitsschäden.
Und weiter heißt es:
Der "grüne" Wasserstoff wird durch die Kombination von Wind- und Sonnenenergie mit großen Mengen an Süßwasser (unterirdisch und an der Oberfläche) sowie Elektrolyseanlagen (Elektrolyseuren) hergestellt. Dazu gehören ein Windpark, eine flächendeckende Solaranlage sowie ein entsprechendes Starkstromnetz. Des Weiteren braucht man eine besondere Infrastruktur für den gefährlichen Schwertransport der Wasserstoffprodukte über Land, vielleicht auch Pipelines. Auch einen Tiefseehafen, um die Fracht auf die speziellen Überseetanker zu verladen. Der Schiffstransport legt von der Mündung des Rio de la Plata bis nach Hamburg rund 12.000 Kilometer zurück. Die aufwendigen Baumaßnahmen müssen in Uruguay erstmalig durchgeführt werden und verursachen übrigens an vielen Stellen ganz erhebliche CO₂-Emissionen.
Die zentrale Bedeutung der "seltenen Erden" für die "saubere" Windtechnologie
Windkraftanlagen für die "klimaneutrale" Stromerzeugung benötigen in den Generatoren starke Magnete, um die Rotation in elektrische Energie umwandeln zu können. Diese Magnete werden aus Mineralien namens "Seltene Erden" hergestellt: unter anderem aus Neodym, Praseodym, Dysprosium, Terbium.
Der Abbau von "Seltenen Erden" ist äußerst umweltschädlich. Er nimmt aufgrund der wachsenden Nachfrage nach diesen Mineralien stark zu. Sie finden in allen neuen Technologien Verwendung: In LED-Lampen, Elektroautos, Computern und elektronischen Geräte, in Servern von Rechenzentren, Batterien usw. Die Hauptlieferanten der seltenen Erden sind China, Australien, Russland und Brasilien, doch zu den Ländern mit Weltreserven zählen auch Vietnam, Indien, Südafrika, Malawi, Malaysia, Tansania und Myanmar.
Die deutschen Wissenschaftler Petra Zapp, Andrea Schreiber, Josefine Marx und Wilhelm Kuckshinrichs (Zapp et al. 2022) sprechen in ihrem Artikel über die "Umweltauswirkungen des Abbaus seltener Erden" einige wichtige Probleme an: den Verbrauch großer Mengen fossiler Energie für den Produktionsprozess, die Verseuchung des Bodens mit Schwermetallen durch Gesteinssprengungen, den radioaktiven Abfall durch bestimmte, aggressive Chemikalien zur Gesteinsabtrennung von den wertvollen Mineralien sowie schädliche Emissionen von krebserzeugendem Fluorwasserstoff in die Luft und anderes mehr.
China will Förderungsquoten für seltene Erden einführen
Weltweit nehmen die Konflikte um den Abbau seltener Erden zu, bis hin zu Kriegen um die strategischen Ressourcen. In Asien ist – oder war – die chinesische Stadt Bayan Obo das Hauptbeispiel für die extreme Umweltzerstörung, die dieser Bergbau mit sich bringt. Laut dem französischen Journalisten, Dokumentarfilmer und Spezialisten für Geopolitik der Rohstoffe Guillaume Pitron werden chinesische Städte in der Nähe des Abbaus seltener Erden von den Einheimischen als "Krebsstädte" bezeichnet.
Nach einem Bericht von Julia Klinger stießen Chinas Schritte zum Eindämmen der Umweltzerstörung und zum Verzögern der Ressourcenverknappung durch Förderungsquoten vor allem bei den Vereinigten Staaten von Amerika, der Europäischen Union und Japan auf Widerstand. Sie verklagten China bereits im Jahr 2013 deswegen vor der Welthandelsorganisation WTO. Doch inzwischen sind weltweit gut 800 Fundorte von seltenen Erden registriert worden, darunter auch in Brasilien (im Amazonasgebiet) und in den USA.
Die Windrotorflügel aus Balsaholz – Raubabholzungen in Ecuador
Die Windkraftwerke bringen ein weiteres Umwelt- und Sozialproblem mit sich: Ein Innenteil der Rotorblätter wird bisher aus dem besonders leichten Balsaholz gefertigt, dessen Weltvorkommen zu 75 Prozent im Nationalpark Yasuní in Ecuador beheimatet sind. Der Raubabbau dieses Holzes ist für die indigenen Gruppen im Amazonasgebiet eine ökologische Katastrophe. Inzwischen sollen Hersteller von Windkraftanlagen zwar nach Alternativen suchen, doch das Holz hat immer noch einen hohen Stellenwert und wird weiterhin abgeschlagen – auch im Amazonasgebiet von Peru.
Die umweltschädliche Fußspur der Solarenergie
Bei der Herstellung von Photovoltaikmodulen sindumweltschädliche Mineralien und Chemikalien im Einsatz, bei deren Herstellung Emissionen aus hochgiftigem Tetrachlorsilan (Siliciumtetrachlorid) sowie Blei, Arsen und Quecksilber in die Luft freisetzt werden. Außerdem kann das Grundwasser durch die bei der Herstellung auftretenden Emissionen von Nickel, Kupfer, Zink und Quecksilber verseucht werden. Für Solarmodule müssen Silizium, Bor und Silber sowie in manchen Fällen auch Cadmium und Tellur gewonnen werden. Hinzu kommt der große CO₂- Fußabdruck des gesamten Verbrauchs fossiler Brennstoffe beim Transport dieser Mineralien über riesige Entfernungen hinweg.
Die großflächigen Solaranlagen konkurrieren mit fruchtbarem Agrarland
Die riesigen Photovoltaik-Solaranlagen, die in manchen Projekten Südamerikas Hunderte von Hektar an fruchtbaren Böden besetzen, sind ein großes Problem für die einheimischen kleinen und mittleren Landwirtschaftsbetriebe. Sie engen die Nahrungsmittelproduktion ein, und selbst die Beweidung durch Nutztiere birgt Gesundheitsrisiken.
Was tun, wenn Wind und Sonne versagen?
Darüber hinaus ist unklar, was passiert, wenn die alternativen Energiequellen aufgrund spezifischer Klimabedingungen (Windflaute und fehlendes Sonnenlicht) nur unzureichend funktionieren und selbst die Wasserkraftproduktion in Dürreperioden nicht ausreicht. Dann müssten die fossilen Energieträger wie Öl und Erdgas wieder zum Einsatz kommen, um den hohen Energieverbrauch der Elektrolyseanlagen zu decken, denn der erzeugte Wasserstoff ist ja nur ein anderer Energieträger, er erzeugt keine Energie. In diesem Fall ist dieser so gewonnene Wasserstoff gar nicht mehr "grün".
Woher kommen die für die Elektrolyseanlagen notwendigen Mineralien?
Elektrolysetechniken sind das Herzstück der "grünen" Wasserstoffindustrie. Diese Geräte ermöglichen die Aufspaltung des Wassermoleküls durch elektrischen Strom in Wasserstoff- und Sauerstoff-Moleküle.
Allerdings verwenden Elektrolyseanlagen mit ihren Elektroden bestimmte Mineralien, u.a. Stahl und Nickel, deren Gewinnung ebenfalls mit sehr hohen Umweltschäden und sozialen Problemen verbunden ist. Die Stoffe kommen vor allem in Russland, Indien, den Philippinen und Australien vor. Sogenannte PEM-Elektrolyseanlagen nutzen für die Aufspaltung des Wassers Platin und Iridium an den Elektroden, neben den Polymerelektrolytmembranen (PEM). Russland ist mit einem Anteil von 13 Prozent am Gesamtangebot der zweitgrößte Platinlieferant für Europa und die Welt, nach dem weltweit größten Lieferanten Südafrika.
Die Unabhängigkeit Europas von russischen Lieferungen wird seine Abhängigkeit von Importen aus Südafrika weiter verstärken
Deutschland und Europa wollen den Zugang zu diesen Mineralien sicherstellen, ohne von China und Russland abhängig zu sein. Die sogenannten Platingruppenmetalle gehören zu den seltensten, kohlenstoffintensivsten und teuersten Metallen (übrigens viel seltener als die angeblichen "Seltenen" Erden). Bisher sind keine Alternativen zum Einsatz von Iridium in PEM-Elektrolyseuren bekannt. Die Abhängigkeit Europas von Platin- und Iridium-Importen beträgt 98 bzw. 100 Prozent. Doch Südafrika musste die Förderung wegen sozialer Unruhen aufgrund menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen in den Gruben zeitweise schon unterbrechen. Auch in Simbabwe (das derzeit 7 Prozent des gesamten Platins der Welt und 5 Prozent des Iridiums liefert) gibt es ähnliche soziale Konflikte wie in Südafrika, weswegen das Risiko von Lieferunterbrechungen auch von dort besteht.
Schlussbemerkung
Mittels des "Bundesgesetzes über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten" von 2021 wurde die Konsequenz aus den Bergbauprotesten in Südafrika gezogen. Man hat verstanden, dass eine Vernachlässigung der "Nachhaltigkeit" die Versorgungssicherheit beeinträchtigen kann.
In dem vom deutschen Auswärtigen Amt finanzierten Bericht "Geopolitik der Energiewende: Wasserstoff" wird angesichts der Ziele, die sich die EU gesetzt hat, die große Sorge um die weltweite Versorgung mit Mineralien für Elektrolyseanlagen deutlich. Darin heißt es:
"Die Stärkung öffentlich-privater Partnerschaften (sic!) und der Kapazitäten öffentlicher Institutionen in Bergbauländern soll dafür sorgen, dass Umwelt- und Sozialkriterien besser berücksichtigt werden, um möglicherweise Unruhen und Versorgungsunterbrechungen zu vermeiden. Für bestimmte Rohstoffe wie Nickel oder Platin sollen spezifische bilaterale Rohstoffpartnerschaften (insbesondere mit Indonesien, den Philippinen, Australien und Südafrika) ausgehandelt oder ausgebaut werden".
Wo bleiben die Rechte der Zivilgesellschaft und deren Entscheidungsbefugnis über die Platzierung von "grünen" Industriebetrieben in ihren unmittelbaren Lebensbereichen?
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