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Ukraine-Krieg: NATO trainiert Reaktion auf chemische, biologische und nukleare Angriffe

In einer Reihe von Übungen hat die NATO ihre Reaktion auf Zwischenfälle mit chemischen, biologischen, radiologischen und nuklearen Stoffen trainiert. In einer zunehmend vernetzten Welt hängt eine wirksame Vorbeugung und Reaktion von der Zusammenarbeit zwischen internationalen Akteuren ab, um Praktiken zur Bewältigung dieser Bedrohungen zu entwickeln.
Ukraine-Krieg: NATO trainiert Reaktion auf chemische, biologische und nukleare AngriffeQuelle: www.globallookpress.com © Edwin Wriston

Chemische, biologische, radiologische und nukleare (CBRN) Waffen gehören zu den gefährlichsten Waffen der Welt. Angesichts der derzeitigen geopolitisch eher unsicheren Lage muss daher sichergestellt werden, dass Soldaten sowie Ersthelfer auf den möglichen Einsatz solcher Massenvernichtungswaffen vorbereitet sind. Vor diesem Hintergrund haben Militärexperten aus 13 Nationen bei einer gemeinsamen NATO-Übung Anfang August in der Tschechischen Republik die Bewältigung der Folgen eines CBRN-Angriffs trainiert.

Bei der Übung, die in der nahe der deutschen Grenze gelegenen Stadt Tisá stattfand, trainierten die militärischen Fachkräfte unter anderem die Behandlung sowie Dekontamination und Versorgung von Opfern eines CBRN-Anschlags, wie die Royal Navy über ihre Webseite mitteilte.

CBRN wird als internationaler Überbegriff für chemische, biologische und radiologische Verbindungen in jedem physikalischen Zustand und in jeder Form verwendet, die eine Gefahr für die Bevölkerung und auch Gebiete darstellen können. Das beinhaltet auch Verbindungen, die für die Entwicklung oder den Einsatz von Massenvernichtungswaffen und CBRN-Waffen verwendet werden können.

Vier Tage lang tauschten die Einsatzkräfte ihr Wissen aus und behandelten auf dem Gelände eines ehemaligen chemischen und biologischen Testgeländes Opferattrappen, während die Forward Surgical Commando Group, ein medizinische Einsatzteam der Royal Marines, eine Marineinfanterie der britischen Royal Navy, den restlichen Teilnehmern die vom Vereinigten Königreich verwendeten Techniken und Verfahren demonstrierte.

Die Forward Surgical Commando Group des Commando Logistics Regiment in North Devon ist überall dort im Einsatz, wo auch die Royal Marines tätig sind. Sie ist für die Behandlung von Verletzten vor Ort zuständig und muss daher in der Lage sein, innerhalb kürzester Zeit medizinische Versorgungseinrichtungen aufzubauen. Während der viertägigen Übung stand sie an vorderster Front des Dekontaminationsbereichs für Verletzte.

"Szenarien wie diese sind notwendig, damit wir auf dem Boden der Tatsachen bleiben und darauf vorbereitet sind, CBRN-Verletzte, mit denen wir während eines Einsatzes rechnen müssen, effizient zu behandeln und zu versorgen", wird der medizinische Assistent Jack Franklin in der Mitteilung zitiert. Jedes im Dekontaminationsbereich eingesetzte Mitglied des medizinischen Teams müsse in der Lage sein, die Situation zu beurteilen. "Dies war entscheidend für den Triage-Sanitäter an der Spitze der Einrichtung, der auf der Grundlage des Protokolls entscheidet, wer zuerst behandelt wird. In Echtzeit wird dies eine sehr schwierige Aufgabe sein", so Franklin weiter:

"Im Gefecht muss man realistischerweise damit rechnen, dass nicht jeder überleben wird. Einem Unfallopfer mit besseren Überlebenschancen den Vorrang vor einem Unfallopfer mit schweren Verletzungen zu geben, ist der Schlüssel, um zu verhindern, dass unsere begrenzte Zeit und unsere Ressourcen schnell verbraucht werden, was uns daran hindern kann, andere Unfallopfer mit Verletzungen zu behandeln, bei denen wir davon ausgehen können, dass sie überleben."

Hauptziel des Übung war es sicherzustellen, dass die Soldaten über eine gemeinsame Wissensbasis und ein grundlegendes Maß an Bereitschaft für die Reaktion auf CBRN-Vorfälle verfügen. "Aus der Sicht eines Royal Marines war es ein großartiger Einblick in die Zusammenarbeit zwischen der Royal Navy und den Royal Marines während einer Übung wie dieser und in die medizinische Behandlung selbst", erklärte Marine George Blake vom Commando Logistics Regiment:

"Ohne vorherige Erfahrung als Mannschaftssanitäter oder Erfahrung mit CBRN-Verletzungen kann ich jetzt mit gutem Gewissen sagen, dass wir ohne Probleme wissen, was zu tun ist, wenn etwas Unglückliches passiert und die Royal Marines wieder zu Hilfe gerufen werden."

Laut Angaben der Royal Navy erfolgten die Echtzeittests in Tisá nach einer Phase theoretischer Studien sowie praktischer Übungen und medizinischer Simulationen, die alle Teil eines wichtigen Ausbildungsprogramms sind, das die Einsatzbereitschaft der CBRN-Reaktionskräfte verbessern soll.

NATO trainierte auch in Kanada

Zu diesem Ausbildungsprogramm gehört auch die jährlich stattfindende Übung mit dem Namen "Precise Response", die nahezu zeitgleich auf der Canadian Forces Base Suffield in Kanada stattfand. Wie die US-Armee über ihre Webseite mitteilte, nahmen an der CBRN-Übung im vergangenen Monat hochqualifizierte Einheiten aus 13 Ländern teil, um das CBRN-Abwehrbataillon der NATO-Reaktionskräfte für den Einsatz zu schulen.

Das CBRN-Abwehrbataillon ist eine NATO-Einheit, die speziell für die Bewältigung von CBRN-Vorfällen und Angriffen gegründet wurde. Es untersteht der Combined Joint CBRN Defence Task Force der NATO, eine verlegbare militärische Kommandoeinrichtung des Bündnisses. Der Auftrag der Combined Joint CBRN Defence Task Force besteht darin, eine rasch verlegbare und glaubwürdige CBRN-Abwehrfähigkeit bereitzustellen, um die Handlungsfreiheit und die operative Wirksamkeit der NATO in einem von CBRN-Bedrohungen geprägten Umfeld zu erhalten.

Ausgerichtet wurde die Übung von der Defence Research and Development Canada, einer Forschungsbehörde des kanadischen Verteidigungsministeriums. Sie ist der Beitrag des Landes zum CRBN-Verteidigungsbataillon der NATO. "Wir versuchen, so viele realistische Szenarien wie möglich zu entwickeln", erklärte Major Christian Lepage, Übungsleiter bei den kanadischen Streitkräften. "Je anspruchsvoller die Szenarien sind, desto einfacher ist es für die Nation, im Ernstfall zu reagieren."

Die Szenarien böten den Soldaten demnach die Möglichkeit, Taktik, Technik und Verfahren (TTP) in einer kontrollierten Umgebung zu üben. "Es kann sich um chemisch-biologische oder radiologische Situationen handeln", so Lepage. "Es könnte ein Meth-Labor sein, ein Chemielabor, legal oder illegal. Es könnte sich um einen Autounfall handeln, bei dem ein radiologisches Gerät gefunden wurde, weil jemand es von Punkt A nach Punkt B gebracht hat." Je schwieriger und komplexer die Simulation ist, desto besser, so der Major.

"Wir haben hier völlig neue Einsatzverfahren erlernt und unsere eigenen CBRN-Probenahmeverfahren von Grund auf neu entwickelt", sagte Major Gerald Bauer, Leiter der österreichischen Delegation und Task-Force-Kommandant. "Es ist eine großartige Erfahrung, die anderen Nationen zu sehen, wie sie mit unterschiedlichen Methoden an dasselbe Ziel herangehen, damit man voneinander lernen und sich weiterentwickeln kann."

Der Schwerpunkt der alljährlich stattfindenden dreiwöchigen Übung liegt vor allem darauf, die Interoperabilität von Truppen zu testen und zu optimieren. Denn Interoperabilität ist der Grundbaustein für multinationale Einsätze. Sie befähigt NATO Mitgliedsstaaten und -Partner, miteinander im militärischen Einsatz Seite an Seite zu arbeiten. Die Nationen erhalten eine gewisse Zeit, um sich mit den Szenarien vertraut zu machen, bevor sie in internationale Einsatzgruppen aufgeteilt werden.

"Es kann sein, dass ein österreichischer Befehlshaber viele Untereinheiten unter sich hat – eine französische Dekontaminationseinheit, ein amerikanisches mobiles Labor usw.", so Lepage weiter. "Diese Kommandanten handeln wie in einer realen Situation und interagieren mit verschiedenen Beteiligten. Das betonen wir hier, um den späteren Prozess zu erleichtern." Während der Übung erlernen die Einsatzkräfte der einzelnen Nationen deshalb auch, wie Sprach- und Prozessbarrieren zu überwinden sind.

"Interoperabilität ist für die CRBN-Dienste sehr wichtig, denn bei internationalen Aufgaben kommen immer Gruppen zusammen, und zwar in einem militärischen Kontext", sagte Major Bauer. "Sie müssen sich also kennen und einander vertrauen, und Vertrauen lässt sich am besten bei gemeinsamen Übungen aufbauen."

Shannelle Adam von den kanadischen Streitkräften erklärte, dass die Zusammenarbeit mit anderen Nationen ihr die Möglichkeit gab, neue Wege zur Durchführung von CBRN-Einsätzen kennenzulernen. "Der Höhepunkt für mich war, dass ich Wissen aus anderen Ländern sammeln konnte und nun in der Lage bin, zurück zu meiner Einheit zu gehen und einige Ideen zu entwickeln, um positive Veränderungen umzusetzen", sagte Adam, die seit sechs Jahren als Militärsanitäterin arbeitet. Durch die Arbeit mit echten Agenten fühle sich die Ausbildung viel realer an.

"Wir üben hier immer gerne, wie wir kämpfen. Für den Fall, dass es in Zukunft eine CBRN-Bedrohung geben sollte, fühlen wir uns jetzt sicherer, weil wir in der Ausbildung mit echten Agenten gearbeitet haben."

Stoltenberg: Ergreifen Maßnahmen, um die Ukraine zu unterstützen

Mit den intensivierten Trainingsbemühungen reagiert die NATO laut eigenen Angaben auf die russische Spezialoperation in der Ukraine. "Wir ergreifen Maßnahmen, um die Ukraine zu unterstützen, aber auch, um uns selbst zu verteidigen", hatte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg im März auf einem Sondergipfel in Brüssel erklärt. "Jeder Einsatz chemischer Waffen würde den Charakter des Konflikts völlig verändern", sagte Stoltenberg. Deshalb habe US-Luftwaffengeneral Tod Wolters auch das CBRN-Verteidigungselement der NATO aktiviert, das CBRN-Abwehrbataillon:

"Die Verbündeten verlegen zusätzliche chemische, biologische und nukleare Verteidigungsmittel zur Verstärkung unserer bestehenden und neuen Gefechtsverbände."

Wie das Air Force Magazine im März unter Berufung auf einen NATO-Beamten berichtete, unterstehen den CBRN-Einheiten der NATO-Reaktionskräfte derzeit rund 400 Soldaten:

"Sie sind im Moment nicht im Einsatz, werden aber in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt."

Risiko von CBRN-Vorfällen steigt

Überall auf der Welt ist das Risiko gefährlicher chemischer, biologischer, radiologischer und nuklearer Zwischenfälle in militärischen oder sogar zivilen Szenarien sehr real – mit potenziell verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt. Dabei spielt es keine Rolle, wie schwerwiegend ein CBRN-Vorfall ist. Ein Ereignis, das theoretisch keine größeren Auswirkungen auf die Gesellschaft, die Umwelt oder die Infrastruktur hat, kann dennoch Angst und Schrecken in der Welt verbreiten. Dank moderner Technologie ist die Herstellung gefährlicher Stoffe heute einfacher als noch vor einigen Jahren, und damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit eines Zwischenfalls.

Giftige Chemikalien für die Industrie und die Landwirtschaft können in den meisten Teilen der Welt relativ billig und einfach erworben werden. So hatte im Jahr 1995 eine japanische Sekte beispielsweise Saringas in der U-Bahn von Tokio freigesetzt. Bei dem Anschlag waren damals 13 Menschen getötet und mehr als 2.000 verletzt worden. Auch im syrischen Bürgerkrieg wurden Berichten zufolge chemische Waffen eingesetzt. Egal, auf welche Gründe ein möglicher CBRN-Zwischenfall zurückzuführen ist – er betrifft die gesamte Gesellschaft.

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