Asien

Bereitet sich Japan darauf vor, gegen China vorzugehen?

Die Beziehungen zwischen China und Japan sind für den regionalen Handel von entscheidender Bedeutung. Ist Tokio aber bereit, alles für die Gunst von Taiwan und Washington aufs Spiel zu setzen?
Bereitet sich Japan darauf vor, gegen China vorzugehen?Quelle: AFP © Kazuhiro Nogi

Eine Analyse von Timur Fomenko

Einem kürzlich erschienenen Bericht zufolge, erwägt die japanische Regierung die Stationierung von über 1.000 ballistischen Raketen, die auf China gerichtet sein werden – was eine erhebliche Eskalation der Spannungen zwischen Tokio und Peking bedeuten würde. Es ist noch unklar, ob dieses Vorhaben jemals umgesetzt wird; angesichts der Bedrohung der regionalen Stabilität, die ein solcher Schritt mit sich bringen würde, und angesichts der Einschränkungen, die Japan durch seine eigene Verfassung auferlegt sind. Aber zum jetzigen Zeitpunkt ist unbestreitbar, dass der geostrategische Wettbewerb zwischen Japan und China eine neue Realität angenommen hat. Die beiden Länder mögen sich zwar wirtschaftlich in einer tiefgreifenden Integration befinden, aber im Herzen stehen sie sich feindlich gegenüber und die geopolitischen Ambitionen beider Nationen kollidieren zunehmend auf breiter Front.

Der Aufstieg Chinas bedroht Japans einst dominante Position in Asien; nicht zuletzt in Bezug auf umstrittene Gebiete, die Tokio strategisch schachmatt setzen würden, sollte es Peking gelingen, sie zurückzuerobern. Während das Ostchinesische Meer und die umstrittenen Diaoyu/Senkaku-Inseln die eine Sache sind, ist der größte und dringlichste Brennpunkt tatsächlich die Insel Taiwan.

Japan hat nun öffentlich bekannt gemacht, dass die Autonomie Taiwans entscheidend für sein eigenes Überleben ist. Wie das? Weil eine Wiedervereinigung der Insel Taiwan mit dem chinesischen Festland dazu führen würde, dass China die maritime Dominanz über die gesamte südwestliche Peripherie Japans erlangt. Infolgedessen erhöht Japan seinen Einsatz in Bezug auf Taiwan: Sowohl vor als auch während der derzeitigen Besuche von Delegationen aus den USA in Taiwan haben parlamentarische Delegationen aus Japan ähnliche Reisen unternommen. Der kürzlich ermordete ehemalige Premierminister von Japan, Shinzō Abe, ein Architekt der aktuellen revisionistischen Außenpolitik Japans, war ein großer Unterstützer Taiwans und beabsichtigte der Insel einen Besuch abzustatten.

In ähnlicher Weise hat auch Taiwan seine pro-japanische Stimmung deutlich verstärkt. Und das, obwohl es einst unter der Kolonialherrschaft Japans leiden musste, nachdem Tokio die Insel von China annektiert hatte. Das Ausmaß der öffentlichen Trauer nach der Ermordung von Shinzō Abe war in diesem Sinne sehr aufschlussreich.

Hinzu kommen noch die zunehmenden Spekulationen darüber, ob Japan, angesichts der durch die japanische Verfassung auferlegten Einschränkungen, Taiwan tatsächlich militärisch verteidigen würde, sollte China dort einmarschieren. Japan kann es sich nicht leisten, Taiwan zu verlieren – obwohl die Akzeptanz der Ein-China-Politik eine Schlüsselbedingung für die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen China und Japan im Jahr 1976 war. Dies hat Tokio in einen Wettlauf gegen die Zeit geschickt, Schlupflöcher in seiner derzeitigen friedensorientierten Verfassung zu finden, um seine Verteidigungsausgaben zu erhöhen und zu versuchen, ein Gleichgewicht gegen Chinas wachsende Militärmacht aufzubauen.

Unterstützung für sein Vorgehen findet Tokio bei den Mitgliedern der sogenannten "Quad"-Gruppe. Insbesondere bei den Vereinigten Staaten und Australien, die sich untereinander koordinieren, um zu versuchen, China einzudämmen. Auch Indien ist ein wichtiger Partner. Obwohl sich Neu-Delhi von der Taiwan-Frage distanziert hat, um eine Verschärfung der Spannungen mit China über die umstrittene Grenze zwischen beiden Ländern zu vermeiden, betrachtet Indien, im Hinblick auf China, Japan dennoch als langfristigen strategischen Partner.

Japan versucht zudem, Südkorea für sein Spiel zu gewinnen – ein Schritt, der selbstredend von den USA unterstützt wird. Während der neue rechtskonservative Präsident von Südkorea, Yoon Suk-yeol, eher bereit ist, mit Japan in der Nordkorea-Frage zusammenzuarbeiten, sind die Erwartungen, dass er sich als Falke gegenüber China zeigt, im Sande verlaufen, nachdem er die zurückhaltende Haltung seiner Vorgänger eingenommen hat. Als die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, nach ihrem berüchtigten Taiwan-Besuch, anschließend die südkoreanische Hauptstadt heimsuchte, vermied es der neue südkoreanische Präsident, sie persönlich zu treffen – Tokio hingegen begrüßte ihren Zwischenstopp in Japan voll und ganz. Japan ist im asiatischen Raum zweifellos das Land an vorderster Front bei der Unterstützung der Vereinigten Staaten.

Dennoch gibt es Grenzen bei der Frage, wie sehr Japan das Boot, in dem der Nachbar und wichtige Handels- und Investitionspartner China mit drin sitzt, zum Schaukeln bringen kann. Trotz der historischen Feindschaft zwischen beiden Ländern bleiben ihre wirtschaftlichen Verflechtungen sehr eng. Jeder Schlag gegen die chinesische Wirtschaft schadet auch Japans Wirtschaft. Und Japan kann es sich ebenso wenig leisten, den chinesischen Markt zu verlieren, insbesondere wenn es um den Export von Kraftfahrzeugen, Elektronik und anderen Konsumgütern geht.

Die chinesische Regierung kann verheerend effektiv darin sein, aus einer Laune heraus anti-japanische Stimmungen zu schüren, was zu massenhaften Boykotten japanischer Waren und sogar zur Zerstörung von japanischem Eigentum führen kann. Solche Reaktionen gab es in China zuletzt 2012 in der Frage der Senkaku-Inseln. Dies sollte uns daran erinnern, dass sich Japan, trotz der Unterstützung durch die USA, in gewisser Weise in einer heiklen Lage befindet.

Chinas Wirtschaft ist der japanischen längst entwachsen, und der kontinuierliche Ausbau der militärischen Fähigkeiten im Reich der Mitte ist beispiellos. Der chinesische nationalkonservative Kommentator Hu Xijin, ehemaliger Herausgeber der Global Times, hat erklärt: Wenn Japan es wagen sollte, 1.000 Raketen auf China zu richten, dann werde China 5.000 gegen Japan und alle US-Stützpunkte auf japanischem Boden richten.

Trotzdem stellte er fest, dass die Beziehungen zwischen China und Japan vor allem freundschaftlich bleiben sollten. Auch wenn es nicht Chinas Entscheidung sein wird, den Weg des Antagonismus gegenüber Japan zu beschreiten.

Dies wirft eine Frage auf: Kann Japan, bei dem Versuch Taiwan zu unterstützen, mithalten und China als Ganzes abschrecken? Dies wäre für Japan keine einfache Aufgabe, weshalb die Beziehungen zwischen Peking und Tokio weiterhin hin- und hergerissen bleiben werden – zwischen historischer Rivalität und historischen Missständen einerseits, und Zurückhaltung und gegenseitiger Abhängigkeit andererseits.

Übersetzt aus dem Englischen.

Timur Fomenkoist ein politischer Analyst.

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