Asien

Xi Jinping bringt nicht "Rotchina" zurück – es war niemals weg

Die Zentralisierung der Macht beim chinesischen Staatsführer ist keine Anomalie, sondern die logische Folge in einer Nation, die sich selbst treu bleibt. Das ist ein abrupter Weckruf für all jene, die einen westlichen Weg als Vision für Chinas Schicksal sahen.
Xi Jinping bringt nicht "Rotchina" zurück – es war niemals wegQuelle: Gettyimages.ru © View Stock

Von Timur Fomenko

Der frühere australische Premierminister Kevin Rudd veröffentlichte kürzlich einen Artikel in der Zeitschrift Foreign Affairs, in dem er "die Rückkehr von Rotchina" mit der Überschrift "Xi Jinping bringt den Marxismus zurück" proklamierte. Der Artikel argumentiert, dass die Ernennung von Xi auf dem 20. Kongress der Kommunistischen Partei Chinas, die von Deng Xiaoping 1978 eingeleitete Ära der Reform und Öffnung formell beendet habe, die China dazu brachte, liberaler, offener und kapitalistischer zu werden. Rudd beschreibt Xi als "einen wahren Anhänger des Marxismus-Leninismus", der "Pekings Rückkehr zur Kontrolle über Politik und Gesellschaft durch die Partei vorantreibt, wobei der Raum für Dissens und persönliche Freiheiten eingeschränkt wird".

Eine solche Einschätzung der veränderten Gewichtung Chinas ist natürlich zutreffend. Aber das Argument, das Verständnis und die wahrgenommenen Gründe dafür sind falsch. In Wirklichkeit war Rotchina immer schon Rotchina, und in der Ära Deng Xiaoping ging es nie wirklich darum, die autoritäre Herrschaft der Partei aufzugeben und China zur Demokratie zu führen. Die Leute vergessen gern, dass Deng derjenige war, der 1989 die Panzer anrollen ließ, als die Menschen revoltierten. Vielmehr unterscheidet sich die Welt, in der China heute existiert, dramatisch von jener der 1970er und 1980er Jahre, ebenso wie die von China wahrgenommenen nationalen Interessen, Bedürfnisse und Ansichten. Die Konsolidierung von Xi Jinping könnte nicht weiter von dem Chaos entfernt sein, das vom ideologischen Dogma eines Mao Zedong propagiert wurde.

Seit dem Tod von Mao hat jeder chinesische Staatsführer auf dem Erbe seines Vorgängers aufgebaut und seine Politik an die Bedingungen im Land angepasst. Alle Führer waren ideologische Kommunisten, aber seit Mao hat jeder dies eher auf pragmatische als auf einer "revolutionären" Weise zum Ausdruck gebracht. Schließlich beschrieb Deng Xiaoping dies als "Steine ​​finden, um den Fluss zu überqueren", was der Kerngedanke des "Sozialismus chinesischer Prägung" ist. Seit 1978 strebt China sozialistische Ziele an, jedoch unter Berufung auf eine praktische Methodik, im Gegensatz zu einer dogmatischen. Daher führte China auch Marktreformen ein.

Das China der 1980er Jahre war ein unglaublich armes Land, das dringend Investitionen und Zugang zu ausländischen Märkten brauchte, um sich zu verändern. Möglich wurde dies durch freundschaftliche Beziehungen zu den USA, die den Prozess hin zum Neoliberalismus und dann die Präferenz für die Globalisierung aktiv förderten. China war kein Antagonist. Für die chinesische Führung überwogen die Vorteile gegenüber den Kosten dieser Öffnung. Aber noch einmal, es ging nie darum, die kommunistische Vorherrschaft aufzugeben. Das entsprach damals einfach Chinas Interessen. Schon damals war der Vorfall auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 eine harte Lektion für die chinesische Führung über die Folgen einer "zu liberalen" Haltung.

Aber die Welt ist jetzt eine völlig andere. China ist zur zweitgrößten Volkswirtschaft und zu einer konkurrierenden Supermacht aufgestiegen, die in eine zunehmend angespannte und unvorhersehbare Rivalität mit den Vereinigten Staaten verstrickt ist. China ist auch ein Land mit mittlerem Einkommen und einer komplett anderen Bevölkerung und Gesellschaft als vor drei Jahrzehnten. Dies hat den chinesischen Staat vor neue Sicherheitsherausforderungen gestellt, die es damals nicht gab, zumal die USA versuchen, an verschiedenen sensiblen Punkten wie Xinjiang, Tibet, Hongkong und Taiwan Ärger zu provozieren. All dies wirkte als strukturelle Faktoren bei der erneuten Zentralisierung der Parteimacht unter Xi Jinping. Die Strategien und Ansätze der 1980er Jahre passen nicht mehr zu einem völlig anderen China in einer völlig anderen Welt.

Die Vorstellung, Xi sei eine "Rückkehr zu Mao", ist irreführend. Xi Jinping wird eher als Technokrat denn als ideologischer Dogmatiker beschrieben, und in der Praxis könnte er nicht weiter von einer marxistischen Revolutionsfigur entfernt sein. Xi sieht seine grundlegende Verteidigung gegen die von den USA angeführte "Entkoppelung" in der Tat darin, dass er ein Verfechter der Globalisierung und des Freihandels ist, weshalb er "nachdrücklicher" versucht hat, Chinas Geschicke auf der Weltbühne durch Projekte wie die Belt and Road Initiative (Neue Seidenstraße) zu gestalten. Seine Philosophie ist es, eine Form der Globalisierung zu gestalten, die für China von Vorteil ist, anstatt sich jener Globalisierung zu unterwerfen, die von den Vereinigten Staaten vorangetrieben wird.

Xi beschreibt dies oft als "Gemeinschaft für eine gemeinsame Zukunft für die Menschheit". Im Gegensatz zur Mao-Ära hält er an Chinas Position fest, nicht zu versuchen, die eigene Ideologie zu "exportieren" oder revolutionäre Tendenzen in anderen Ländern zu fördern. Andererseits gibt es natürlich Hinweise darauf, dass Xi einem ungezügelten Kapitalismus skeptischer gegenübersteht als seine Vorgänger und nicht glaubt, dass es die Antwort auf Chinas Herausforderungen und soziale Nöte sein kann, den Markt einfach spielen zu lassen. Man kann sich sein Vorgehen gegen Big Tech oder private Bildungsinitiativen als Beispiele dafür nehmen. Aber auch dies kommt aus einer pragmatischen Position heraus, nicht aus einer rein ideologischen.

Wie kann man also, wenn man alles in Betracht zieht, ernsthaft behaupten: "Rotchina ist zurück"? China war schon immer immer "Rotchina", und es war nur westliches Wunschdenken, das eine falsche Vermutung aufkommen ließ – dass China sich auf einen unumkehrbaren Weg in die Liberalisierung gemacht hat. Aber dieses Wunschdenken starb in den 2010er Jahren. Das China von Xi Jinping ist kaum radikal anders, aber ein abrupter Weckruf für all diejenigen, die einen westlichen Weg als Vision für Chinas Schicksal sahen. Dennoch überwiegt der historische Revisionismus, der Deng als nicht "marxistisch" darstellt, als wolle man damit behaupten, dass Xi Jinping eher eine schreckliche Anomalie als ein Produkt genau jenes Systems ist, das China seit 1949 regiert.

Aus dem Englischen.

Timur Fomenko ist ein politischer Analyst.

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