Europa

"Die Linke muss sich an Emanzipation Europas von USA beteiligen" - Interview

Der Publizist Andreas Wehr erklärt im Interview für RT Deutsch, dass die Linkspartei zunehmend EU-kritische Positionen aufgibt, um Koalitionen mit der SPD und den Grünen einzugehen. Die EU sei aber kein Friedensprojekt, und eine soziale Wende sei mit ihr nicht möglich.
"Die Linke muss sich an Emanzipation Europas von USA beteiligen" - InterviewQuelle: www.globallookpress.com © dpa/Oliver Berg

Andreas Wehr ist - zusammen mit Marianna Schauzu - Gründer des Marx-Engels-Zentrums in Berlin. Das Gespräch führte Hasan Posdnjakow.

Der Kern der Linkspartei-Führung scheint einen deutlich EU-freundlicheren Kurs anzustreben. Zumindest ist das der Eindruck, den man bekommt, wenn man sich die jüngsten Ereignisse auf dem Parteitag und die Aktivitäten von Gregor Gysi anschaut. Welche Motive stecken hinter dem Kurs der Parteiführung?

Vor dem Europaparteitag hat Gregor Gysi freimütig über seine Haltung Auskunft gegeben. Nach ihm sei die Jugend heute "im wesentlichen europäisch" orientiert. "Wenn wir zum Nationalstaat zurückkehren, dann denken die, wir haben eine Meise" (hier zitiert nach der FAZ vom 19.02.2019).

Mit einer die EU ablehnenden Position hätte die LINKE die Sympathien jener Jugend verloren und damit auch vieler jugendlichen Mitglieder, die sie in letzter Zeit gewinnen konnte. Von ihrer Bewusstseinslage her unterscheiden sich diese neuen Mitglieder kaum von ihren Altersgenossen bei Grünen und SPD. Sie alle eint die grundsätzlich positive Sicht auf die EU und die strikte Ablehnung des Nationalstaats. Die Parole lautet hier: No Border – No Nation. Es ist die Ideologie der Globalisierung, die sich in den Köpfen festgesetzt hat.

Aber man buhlt nicht nur um die Gunst der jungen grünroten EU-Enthusiasten. Der EU-freundliche Kurs der Linkspartei soll zugleich den programmatischen Abstand zu SPD und Grünen verkleinern, strebt man doch mit ihnen ein Bündnis auch auf Bundesebene an. Deshalb wird die Partei seit Jahren von linken Inhalten gesäubert. Hierzu gehören auch die vom Parteitag verweigerte Solidarität mit Venezuela und die Nichtbehandlung eines Antrags zu Russland. Beides hätte ja SPD und Grüne stören können.

Auf dem Europaparteitag gab es den Antrag, die Forderung nach einer "Republik Europa" in das Wahlprogramm aufzunehmen. Was ist davon zu halten?

Der Antrag scheiterte nur knapp. Wäre er angenommen worden, so hätte sich die Partei offen an die Seite jener gestellt, die einen europäischen Staat seit langem fordern, etwa der Grüne Daniel Cohn-Bendit und der Sozialdemokrat Martin Schulz. Auf dem Parteitag ging die Initiative für diese "Republik Europa" von der "emanzipatorischen Linken" aus, also vom Flügel der Parteivorsitzenden Katja Kipping. Diese Gruppierung steht bekanntlich für die Vergrünung der Linken.

Was halten Sie von der Einschätzung der führenden rechten Kader in der Linkspartei, man könne die EU sozialer und friedlicher gestalten?

Die Parole von einer zu schaffenden "demokratischen und sozialen Union" wird von den Gewerkschaften, von SPD, Grünen und Linken seit Jahrzehnten verbreitet. In der Realität ist man diesem Ziel aber "nicht einen Flohsprung" - um hier mal einen Ausdruck von Karl Marx zu gebrauchen - näher gekommen. Im Gegenteil: Das Martyrium des griechischen Volkes unter der Knute der EU hat doch gezeigt, dass sich die EU weder in Richtung Demokratie noch sozialer Verantwortung bewegt. Und es gibt keinerlei Zeichen, dass sich daran etwas ändert. Es ist Wunschdenken.

Man hört immer wieder, die EU sei ein Friedensprojekt. Neulich wiederholte das Dietmar Bartsch, der Fraktionsvorsitzende der Linkspartei. Wurde der europäische Integrationsprozess wirklich eingeleitet, um den Frieden in Europa zu sichern? Und wie müssen die Militarisierungsbemühungen der EU, etwa im Rahmen der sogenannten "Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" (PESCO), aus linker Sicht bewertet werden?

Dass die EU ein Friedensprojekt sei, ist eine gern verbreitete Legende. Aus Anlass der Gründung der Europäischen Gemeinschaft, der Vorläuferin der heutigen Europäischen Union, im Jahr 1957 in Rom kam kein einziger der beteiligten Politiker auch nur auf die Idee, sie als Friedensprojekt zu bezeichnen. Die neu gegründete Gemeinschaft verstand sich vielmehr als wirtschaftliches Unterpfand der NATO und war aggressiv gegen die sozialistischen Staaten Europa ausgerichtet. Insofern war sie von Beginn an alles andere als ein Friedensprojekt.

Die EU soll nun eine "Militärunion" werden. Da in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik nur einstimmig entschieden werden kann, wählt man dafür den Weg über eine "Ständige Strukturierte Zusammenarbeit", der es ermöglicht, eine "Koalition der Willigen" zu bilden, welcher sich weitere Staaten anschließen können. Dies ist eine besorgniserregende Entwicklung, denn mit der "Militärunion" soll ein zweites imperialistisches Zentrum des Westens geschaffen werden.

Wie sind die strategischen Beziehungen zwischen der derzeit stärksten Großmacht, den Vereinigten Staaten von Amerika, und der EU, ausgestaltet?

Mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten der USA hat sich der Druck auf die europäischen NATO-Staaten verstärkt, mehr Mittel für Rüstung auszugeben. Dem dient die Forderung nach Militärhaushalten von zwei Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts. Bei Nichtbefolgung drohen die USA immer offener, das transatlantische Bündnis zur Disposition zu stellen.

Das angespannte Verhältnis zwischen der EU und den USA hat nun die innereuropäische Debatte über einen eigenständigeren Kurs in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik neu belebt. Im Mittelpunkt steht dabei die Aufrüstung, die Schaffung europäischer Rüstungsbetriebe sowie die Aufstellung einer europäischen Armee.

Die Linke sollte sich an einer solchen Diskussion über die "Emanzipation Europas" mit eigenen Positionen beteiligen. Zu fordern ist: Aufgabe des Zwei-Prozent-Aufrüstungsziels, keine neuen Mittelstreckenwaffen in Europa, keine Beteiligung an der US-Strategie zur Einschnürung Russlands und Chinas, Aufhebung der gegen Syrien, Venezuela und andere Staaten verhängten Sanktionen, Rückzug der Truppen aus Afghanistan.

Welchen Stellenwert hat eine Demokratie, die auf der nationalen Souveränität fußt, in der heutigen globalisierten Welt?

Es ist eine Tatsache, dass sich die moderne Demokratie allein im Rahmen des Nationalstaats herausbilden konnte. Nur hier fanden und finden sich die Voraussetzungen für eine Beteiligung der großen Volksmassen an den politischen Entscheidungsprozessen. Dafür erforderlich ist eine Sprache, die von allen gesprochen und verstanden wird. Schon daran fehlt es in der EU. Zwar sprechen viele mehr oder weniger gut Englisch, für eine echte politische Debatte reicht es aber in der Regel nicht. Auch existieren auf EU-Ebene keine länderübergreifenden Gewerkschaften, Parteien und Medien. Es gibt daher nicht den öffentlichen Raum, der für die Entwicklung und das Gedeihen einer Demokratie unentbehrlich ist. Werden die Nationalstaaten aber zugunsten der EU geschwächt, wird auch die Demokratie dort ausgehöhlt.

Vielen Dank für das Gespräch!

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