Gesellschaft

Korruption, Ausbeutung und Arbeitsunrecht – die Profiteure der Corona-Krise

Der Publizist und Sozialphilosoph Dr. Werner Rügemer berichtet im RT DE-Interview über die Hintergründe der Profitmaximierung in Corona-Zeiten. Was sind die Voraussetzungen dafür und wie werden Profiteure aktuell begünstigt?
Korruption, Ausbeutung und Arbeitsunrecht – die Profiteure der Corona-KriseQuelle: www.globallookpress.com © www.imago-images.de

Herr Rügemer, viele Bürger sind gerade fassungslos. Seit einem Jahr beteuern die Politiker unseres Landes fast gebetsmühlenartig, es gehe ihnen bei allen Corona-Maßnahmen und Einschränkungen der bürgerlichen Freiheiten ausschließlich um die Gesundheit der Menschen. Und kürzlich wurde aufgedeckt, dass manche von ihnen selbst in korrupte Geschäfte mit sogenannten "Maskendeals" verwickelt sind. Wie ist es möglich, dass sich deutsche Politiker angesichts einer behaupteten tödlichen Bedrohung und angesichts der massenhaften Zerstörung wirtschaftlicher Existenzen so skrupellos bereichern? 

Die Gesundheits- und Solidaritätsprediger des Corona-Managements waren noch nie Vertreter der öffentlichen Gesundheit. Die "Maskendeals" sind nur das mediengängige Gekräusel an der Oberfläche. Aber nach den geltenden Gesetzen sind solche Geschäfte und solche Formen der Selbstbereicherung zulässig: Deutsche Abgeordnete dürfen ganz legal gleichzeitig Unternehmer, Unternehmenslobbyisten, hochverdienende Wirtschaftsanwälte und auch gleichzeitig Mitglieder mehrerer Unternehmens-Aufsichtsräte sein, dürfen Briefkastenfirmen in Finanzoasen gründen, dürfen "Nebeneinkünfte" haben, die ein Mehrfaches der hohen Abgeordneten-Diäten betragen. Dafür haben im Bundestag vor allem die Parteien CDU, CSU und FDP gesorgt: Sie werden seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ganz legal von großen privaten Unternehmen wie BMW und Siemens und der Deutschen Bank dauerfinanziert. Insbesondere CDU, CSU und FDP sind legalisierte Unternehmer-Parteien.

Was Sie in Ihrer Frage als "skrupellose Bereicherung" bezeichnen - das ist also ganz legal. Ich bezeichne das als verrechtlichtes Unrecht. Das wurde zum Normalzustand in den westlichen Kapital-Demokratien, in Deutschland, in der EU, in den USA. Solches verrechtlichtes Unrecht – im Vergleich zu den Menschenrechten der UNO – herrscht zum Beispiel auch im Bereich der Arbeitsverhältnisse. Das habe ich in den letzten Jahren genauer dokumentiert.

Deshalb: Die paar Milliönchen, die das schmutzige halbe Dutzend CDU- und CSU-Abgeordneter jetzt bei den Maskendeals verdient haben, sind nur Peanuts im Vergleich zu den Dauer-Gewinnern der von der Unternehmerlobby bestimmten Politik – CDU, CSU und FDP sind ihr wichtigster parlamentarischer Arm. Aber auch SPD und Grüne, wenn sie in der Regierung sind, trugen und tragen das mit.

Kommen wir zum Gesundheitsbereich: Diese Parteien haben ihn seit den 1990er Jahren privaten Investoren ausgeliefert. Die Investoren haben öffentliche Krankenhäuser aufgekauft und daraus private Ketten gebildet: Rhön-Kliniken, Fresenius, Asklepios sind die größten. Zehntausende Arbeitsplätze von Pflegern wurden abgebaut, die verbliebenen Pfleger werden schlecht bezahlt, teilweise sind es Leiharbeiter.

Gleichzeitig wird die teure Apparatemedizin gefördert, die von Privatunternehmen geliefert wird. Möglichst viele Dienste wie Reinigung, Essensversorgung, innerhäusige Transporte, Wäsche, Dokumentation, Reparaturen, Sicherheit sind an Subunternehmer mit Niedriglöhnen ausgelagert. Auch Altenheime, Pflege- und Labordienste wurden in private Ketten integriert. So hat etwa der "Heuschrecken"-Investor Waterland im letzten Jahrzehnt 120 Reha-Kliniken zusammengekauft, mithilfe von McKinsey die Median-Kette gebildet und wirbt Billigpfleger aus Osteuropa an.

Insgesamt werden die privaten Gewinne gnadenlos abgeschöpft. In diesem unhygienischen Normalbetrieb sterben jährlich mindestens 20.000 Patienten durch Infektionen, die erst im Krankenhaus verursacht werden – aber das hat die Corona-Gesundheitsapostel wie Merkel, Spahn, Söder, Laschet und Chef-Virologen wie Drosten nie gestört.

Insgesamt wird sich seit der Ausrufung der Pandemie sehr viel mit den Fragen der Ausbreitung, der Inzidenzwerte, des Lockdowns, der Maßnahmen und der Impfstoffe befasst. Sehr viel weniger hört man jenseits des Maskenskandals grundsätzlich über die ökonomischen Profiteure dieser Corona-Krise. Was sollte man über die Profiteure im Hintergrund wissen und wie hat die Politik diesem Profit Vorschub geleistet?

Die Privatlobby innerhalb und außerhalb des Bundestags hat die Gesundheit der Mehrheitsbevölkerung seit drei Jahrzehnten schrittweise verschlechtert. Viele Krankheiten werden gar nicht mehr erkannt, viele kranke Menschen schaffen es nicht ins Krankenhaus. Die Bundesländer haben die Gewerbeaufsicht abgebaut, die für den Arbeitsschutz am Arbeitsplatz zuständig ist. Unter den Bundesarbeits- und Gesundheitsministern Olaf Scholz und Ursula von der Leyen wurde zwischen 2007 und 2013 die staatliche Aufsicht über die Berufskrankheiten abgebaut. Viele Menschen werden in und durch Arbeit krank – werden verschlissen, werden durch Jüngere und Migranten ausgetauscht.

Die Versicherungsbeiträge für die Krankenkassen wurden erhöht, Zusatzbeiträge werden erhoben – aber für medizinische Leistungen müssen immer mehr Zuzahlungen geleistet werden: für Medikamente, für Vorsorge-Untersuchungen, für Zahnbehandlungen, für Krankenhausaufenthalte. Das können sich immer mehr Rentner, prekär Beschäftigte, Niedriglöhner und inzwischen auch "Normalverdiener" kaum noch leisten. Du bist arm, du brauchst nicht alle Zähne, du musst früher sterben.

Ungleich mehr als die Maskendealer verdienen die von der Bundesregierung beauftragten privaten Beratungskonzerne. Für sie haben Merkel & Co im Pandemie-Jahr die Ausgaben verdoppelt, auf 433 Millionen Euro. Ein Profiteur war etwa die bekannte Wirtschaftsprüfungsfirma Ernst & Young (EY). Sie hatte jahrelang die gefälschten Bilanzen des Betrugsunternehmens Wirecard als korrekt testiert. Dennoch beauftragte Gesundheitsminister Spahn EY mit der Maskenbestellung. EY war im Pandemiejahr gleichzeitig für fünf Ministerien tätig und hat mit 30 Millionen Euro viel mehr verdient als die paar Korruptis im Bundestag. McKinsey, Price Waterhouse Coopers, Accenture, Hogan Lovell, Freshfields sind weitere Beratungskonzerne, die im Corona-Management noch mehr staatliche Aufträge bekommen als schon vorher.

Die von der Bundesregierung angegebenen 433 Millionen Euro sind zudem nur ein Teil. Vor allem Gesundheitsminister (Jens) Spahn hat im Pandemiejahr die Beraterausgaben erhöht, viel mehr als die anderen Ministerien, nämlich um 139 Prozent. So übernimmt die PR-Agentur Scholz & Friends für 22 Millionen Euro die öffentliche Corona-Kommunikation, überwacht und füttert die staatlichen und privaten Medien, vermittelt Interviews, formuliert Politiker-Reden, gestaltet ganzseitige Anzeigen in überregionalen Leitmedien wie der FAZ, der Süddeutschen Zeitung und dem Kölner Stadt-Anzeiger.

Aber die ganz großen Gewinne landen bei den Digitalkonzernen. Die Corona-Warn-App CWA 2.0 wurde von SAP, der Deutschen Telekom und Nexenio entwickelt. Die Teams-Plattform von Microsoft und Zoom sind die großen Auftragnehmer für "Home Schooling", für den Universitätsbetrieb und Video-Konferenzen der Unternehmen und Verwaltungen. Amazon konnte die Geschäfte der stillgelegten Einzelhändler übernehmen und steigerte die Gewinne und Aktienwerte von Chef Jeff Bezos und Großaktionär BlackRock, nicht zuletzt weiter auf Kosten der Billiglöhner bei Ausliefer-Subunternehmen. Kein Paketauslieferer ist bei Amazon selbst angestellt, Mindestlöhne in Deutschland und in anderen EU-Staaten werden straflos unterschritten, Vorbereitungszeiten werden nicht bezahlt – und die Gesundheit der ausgelagerten Beschäftigten ist für Amazon auch nicht wichtig.

Übrigens konnten die Digital-Anbieter von Pornos ihr Geschäft mit Corona ebenfalls weiter erhöhen. Durch den Home-Schooling-Internetanschluss geraten schon Elfjährige vermehrt an Hardcore-Pornos. Da schreitet keine Mutti der Nation und kein Gesundheitsminister und kein moraltriefender Prediger westlicher und/oder europäischer Werte ein. Im Gegenteil: Intensiver Porno-Konsum gehört zu den "westlichen Werten". Und das christlich geführte Merkel-Deutschland steht damit weltweit ganz vorne.

Die Maßnahmen zur Einschränkung der Pandemie treffen vor allem die kleinen Geschäftsleute und die Bürger im öffentlichen Raum. Dort wird die Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln streng  überwacht und Verstöße mit Bußgeldern belegt. Aus welchem Grund gibt es für Unternehmen und Betriebe kaum Kontrollen und Bußgelder, mal abgesehen von der medienwirksamen Kontrolle der Großschlachterei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück. Wie erklären Sie das? Wie hat sich die Situation der Beschäftigten durch die COVID-19-Pandemie in Bezug auf ihre Arbeitnehmerrechte geändert?

Tönnies sucht für das Schlachten von Schweinen und Kühen weiter migrantische Arbeiter, die nur befristet bleiben und ausgelaugt in ihre verarmten Staaten zurückkehren. Außerdem kauft Tönnies Häuser und vermietet nun direkt die Unterkünfte. Das bedeutet weiter doppelte Abhängigkeit für die Arbeiter. Tönnies als der führende Arbeitgeber der Fleischindustrie hat jetzt auch den Tarifvertrag mit der Gewerkschaft NGG scheitern lassen. Die NGG hatte 12,50 Euro pro Stunde verlangt, aber für Tönnies & Co war 10,50 Euro die Schmerzgrenze.

Auch wer als "Normalverdiener" Kurzarbeitergeld bekommt, bekommt weniger. Aber die allermeisten prekär Beschäftigten und 450 Euro-Jobber bekommen nicht mal das. Hunderttausende Insolvenzen werden jetzt noch verschleppt. Autozulieferer verlagern wegen der E-Mobilität Arbeitsplätze ins Ausland. Streiken ist jetzt noch schwieriger – Unternehmer können die Beschäftigten jetzt noch leichter erpressen.

Die Bundesregierung hat die Unternehmen auf deren Druck hin – auch da waren die Abgeordneten von CDU und CSU besonders aktiv – aus dem Infektionsschutz-Gesetz ausgenommen. Für die Betriebe gilt nur die untergesetzliche "SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel": Nur Soll-Vorschriften, kein zusätzliches Personal für Kontrollen, keine Sanktionen bei Verletzung. NRW-Arbeitsminister Laumann gab am 16.3.2021 bekannt: Bisher sind 6.073 Betriebe auf die Einhaltung der Regel kontrolliert worden, bei 40 Prozent wurden Verstöße festgestellt, es wurden aber keine Bußgelder verhängt. Und die 6.073 Betriebe sind weniger als ein Prozent aller Betriebe in NRW! Dagegen haben allein die Ordnungskräfte der Stadt Köln – mit einer Million Einwohner ein Achtzehntel der NRW-Bevölkerung – 18.268 "Corona-Verstöße" festgestellt und tausende Bußgelder verhängt. Rechtsstaat? Wirksame Maßnahmen gegen die Pandemie?

In Ihrem neuen Buch "Imperium EU: ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr" untersuchen Sie den kontinuierlichen Abbau von Arbeitsrechten in den europäischen Staaten. Einerseits wird in der EU mit hohem moralischem Anspruch auf die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber sich geschlechtlich anders definierenden Gruppen und Menschen mit Migrationshintergrund geachtet – andererseits werden Arbeitnehmerinnen fast ohne öffentlichen Diskurs immer stärker ausgebeutet und entrechtet. Wie kann das sein? Sind Arbeitsrechte keine Menschenrechte?

Dass Arbeitsrechte auch Menschenrechte sind, wie es die UNO und die Internationale Arbeitsorganisation ILO festgelegt haben – das kommt in keiner Arbeitsrichtlinie der EU vor. Kollektive Arbeitsrechte, Gewerkschaften und Belegschaftsvertretungen stärken – nichts davon. Gleicher Lohn für Mann und Frau – nichts. Das letzte zusammenfassende Dokument der EU zum Arbeitsrecht ist die "Europäische Säule sozialer Rechte" (ESSR) aus dem Jahr 2017. Danach ist z. B. der Zero Hour Contract zulässig: Dabei ist keine Arbeitsstundenzahl festgelegt. Man ist ganz von den wechselnden Anforderungen der Unternehmensführung abhängig. Es können auch mal null Stunden sein.

Zudem organisiert die EU seit Beginn die migrantische, vielfach extrem ausbeuterische Niedriglöhnerei. Davon betroffen sind zweistellige Millionenzahlen an Lkw-Fahrern, Bauarbeitern, Krankenpflegern, Spargelstechern und Erdbeerpflückern, Altenpflegerinnen in Privathaushalten, Fleischarbeitern und nicht zuletzt junge Billig-Prostituierte. Sie flüchten aus ihren Heimatstaaten, die von der EU verarmt werden, zur meist zeitlich begrenzten und verschleißenden Arbeit in die reichen EU-Staaten wie Deutschland, Luxemburg, Belgien, Niederlande, Frankreich, in die skandinavischen Staaten oder der Schweiz. Aus dem westlich hochsubventionierten Oligarchen- und Militär-Staat Ukraine arbeiten etwa eine Million verarmte Menschen als Niedriglöhner in Polen.

Die EU-Oberen wie die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen spielen sich gegenüber Russland und China als Menschenrechtler auf, aber fördern selbst millionenfache, ausbeuterische Verletzungen von Menschenrechten – schon vor und verstärkt mit Corona.

Vielen Dank für das Interview!

Das Interview führte Felicitas Rabe.

Das aktuelle Buch "Imperium EU – ArbeitsUnrecht, Krise, neue Gegenwehr" von Dr. Werner Rügemer erschien 2020 im Papyrossa Verlag

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