Deutschland

Zehn Jahre nach Loveparade-Unglück: Interview mit behandelndem Psychologen

Es war eine Tragödie, die sich tief in das kollektive Bewusstsein in Deutschland einprägte: 2010 kamen bei einer Massenpanik aufgrund von fehlerhafter Planung der Verantwortlichen 21 Menschen ums Leben, Hunderte weitere wurden verletzt.
Zehn Jahre nach Loveparade-Unglück: Interview mit behandelndem Psychologen© Friedrich Stark via www.imago-im/www.imago-images.de

Dr. Christian Lüdkte, ein ausgebildeter klinischer Hypnotherapeut mit der Spezialisierung auf dem Gebiet "Trauma" und Koautor des Buches "Profile des Bösen – und wie man sie erkennt", war damals vor Ort und hat die Menschen behandelt. RT Deutsch führte mit ihm ein Interview.

Sie waren damals vor zehn Jahren vor Ort und haben zahlreiche Betroffene behandelt. Wie war die erste Reaktion der Zeugen und derjenigen, die diese Hölle überlebten?

Ich bin klinischer Hypnotherapeut (Traumatherapeut) und habe damals 21 Familien betreut und behandelt, die bei dem Unglück geliebte Menschen verloren haben oder traumatisiert wurden. Den Betroffenen ist schon klar, dass es keinen Ersatz für ein verlorenes Leben gibt. Wenn jemand erklärt hätte, wir haben falsche Entscheidungen getroffen, hätte ihnen das viel Belastung erspart. Die erste Reaktion der Betroffenen war blankes Entsetzen, tiefe Erschütterung und ein schwerer Schock. Viele glaubten, sich in einem falschen Film zu befinden, und für viele war danach nichts mehr so, wie es früher einmal im Leben war. Besonders schlimm waren die Schicksale dreier junger Menschen, die unabhängig voneinander ihre Freunde und Freundinnen überredet hatten, mit zur LoPa zu kommen. Die, die zunächst keine Lust hatten und überredet wurden, kamen am Ende zu Tode. Die drei Überlebenden hatten massive Schuldgefühle und fühlten sich verantwortlich für den Tod ihrer Freundin bzw. Freunde. Besonders berührt hat mich auch eine junge Notärztin, die ich psychologisch betreut habe. Sie war geschockt von den vielen Verletzten, die ganz massive Bissverletzungen erlitten haben. Viele Menschen haben in Panik, weil sie eingequetscht wurden, quasi wie die Tiere um sich gebissen, in den Hals, in den Rücken, ins Gesicht und in die Arme. Nach dem ersten Schock der Betroffenen entwickelten sie dann sehr belastende Symptome, Flashbacks, und immer wiederholten sich die schrecklichen Szenen vor ihrem inneren Auge. Schlafstörungen, Übelkeit, Schmerzen waren die Folge. Gemischt dann auch mit Wut und Unverständnis, wie es zu dieser schlimmen Katastrophe kommen konnte. Besonders schlimm erlebten viele die absolute Sinnlosigkeit dieser Katastrophe, die möglicherweise zu verhindern gewesen wäre.

Welche typischen posttraumatischen Symptome durchleben die Betroffenen? 

Die Betroffenen durchleben immer ähnliche Symptome: Schock, Angst, Depression, Schmerzen und Schlafstörungen. Manchmal führt das zu einer regelrechten gefühlsmäßigen Vollnarkose. Es folgen dann weitere Symptome wie Konzentrationsstörungen, Schwindel, Kontrollverluste, Handlungsunfähigkeit und der Verlust des grundlegenden Sicherheitsgefühls. Viele Betroffene haben den Glauben an die Welt und in die Menschen verloren. Besonders schlimm ist die Situation für Eltern, die bei der Katastrophe ihre Kinder verloren haben, denn dadurch werden zwei Lebensgesetze gebrochen: Das erste Lebensgesetz, das gebrochen wird, ist, dass die Kinder vor den Eltern sterben. Das ist im Leben nicht vorgesehen. Das zweite Lebensgesetz, das gebrochen wird, ist der Umstand, dass die Kinder eines nicht natürlichen Todes sterben. Eltern, die so etwas erleben, durchleben die Hölle auf Erden, und es ist das Schlimmste, das Eltern widerfahren kann. Durch den Tod der Kinder haben sie mindestens die Hälfte der Welt verloren, denn es gibt keinen Ersatz für das Leben. Diese Eltern sind im Grunde genommen ein Leben lang untröstlich. Für viele ging das Trauma nach der Katastrophe weiter, weil der Verlust des geliebten Menschen dann auch zu einem Beziehungs- und Belastungstest der Ehe und Partnerschaft wurde. Einige Ehen und Familien sind daran zerbrochen. Mindestens ein Großvater ist buchstäblich an einem gebrochenen Herzen verstorben, weil er den Tod des geliebten Enkelkindes nicht verarbeiten konnte.

Was ist nach zehn Jahren wichtig an der Arbeit mit den Betroffenen?

Wichtig ist in der Arbeit mit dem Betroffenen, dass sie diesen extrem komplizierten Trauerprozess gut durchstehen und nicht weitere (körperliche) Erkrankungen entwickeln. Durch den langen Prozess sind sie aber nicht zur Ruhe gekommen, sondern es war im Grunde genommen eine permanente Konfrontation mit dem Trauma, und diese Konfrontation führte zu einer jahrelangen Erlebnisaktivierung und diese wiederum zu einer Retraumatisierung.

Für viele Betroffene und Überlebende ist nach der Katastrophe nichts mehr so, wie es früher einmal war. Manche haben es geschafft, das Trauma zu verarbeiten, andere leiden bis heute darunter. Zu den Betroffenen, die das Trauma verarbeitet haben, gehören etwa zwei Drittel aller, die an dem Festival teilgenommen haben. Ein Drittel der Betroffenen gehört zur sogenannten Risikogruppe, die dieses Trauma nicht allein verarbeiten können und nach wie vor professionelle Hilfe benötigen. In der Arbeit mit dem Betroffenen ist es insbesondere wichtig, das Thema Vergeben und Verzeihen anzusprechen. Vergeben und verzeihen heißt, auf Rache zu verzichten. Wenn die Betroffenen in der Lage sind, auf Rache zu verzichten, dann haben sie eine sehr gute Prognose, gesund zu werden oder den bestmöglichen Gesundheitszustand zu erreichen und wieder ein selbstbestimmtes und selbst kontrolliertes Leben führen zu können. Wichtig wäre in der Akutphase nach der Katastrophe gewesen, dass jemand die Verantwortung, und wenn es auch nur die moralische Verantwortung gewesen wäre, übernommen hätte. So wäre vielen Betroffenen noch größeres Leid erspart geblieben, denn dann hätten sie in Ruhe trauern und schneller ihren Seelenfrieden finden können.

Zahlreiche Experten sprechen davon, wie wichtig eine Verurteilung der Schuldigen ist. Dies kann eine therapeutische Wirkung haben und den Betroffenen bei der Überwindung der posttraumatischen Störungen helfen. Wie wirkt sich der lange Prozess auf die Betroffenen aus? Kann die Tatsache, dass das Verfahren ohne Urteil zu Ende gegangen ist, für die Opfer und die Angehörigen weiterhin traumatisierend sein?

Der lange Prozess ohne Urteil stellt für die Betroffenen ein unvorstellbares Martyrium dar, weil das Trauma im Grunde genommen kein Ende gefunden hat. Viele, die keine stabilen Freunde oder Familien um sie herum haben, haben schwere seelische Belastungsreaktionen, Ängste, Depressionen und Süchte entwickelt. Hätte jemand zumindest die moralische Verantwortung für die Katastrophe übernommen, ginge es den Opfern heute besser.

Mehr zum Thema - Loveparade-Prozess: Sieben Angeklagte stimmen Einstellung zu – Prozess gegen drei fortgesetzt

Es steht nicht infrage, dass diese Tragödie die friedliche westliche Rave-Kultur tief erschüttert hat. Was sind die wichtigsten professionellen Konsequenzen, die Ihre wissenschaftliche Gemeinschaft daraus gezogen hat? Sind anhand dieser schrecklichen Ereignisse neue Strategien ausgearbeitet worden, die einem Ausbruch einer Panik entgegengesetzt werden können?

Die friedliche westliche Rave-Kultur ist durch diese unvorstellbare Tragödie bis in die DNA erschüttert worden. Das grundlegende Sicherheitsgefühl ist verloren gegangen. Aber es gibt auch immer etwas Gutes im Schlechten. Das sind tatsächlich wichtige professionelle Konsequenzen, die aus dieser Tragödie gezogen wurden. Auch wenn der Prozess ohne Urteil zu Ende gegangen ist, so wurde doch die Anatomie der Tragödie bis in den mikroskopisch kleinsten Bereich beschrieben. Dadurch konnten viele Fehler, Fehlentscheidungen und Ursachen erkannt und reflektiert werden. Diese finden dann Einzug in die Prävention, dass sich solche Katastrophen nach Möglichkeit nie wiederholen. Neue Strategien wurden ausgearbeitet, und bei diesen stehen insbesondere Sicherheitsaspekte im Vordergrund und wie Menschenleben geschützt werden kann. Sicherheit und Freiheit gehen dabei Hand in Hand.

Durch die Sperrung von RT zielt die EU darauf ab, eine kritische, nicht prowestliche Informationsquelle zum Schweigen zu bringen. Und dies nicht nur hinsichtlich des Ukraine-Kriegs. Der Zugang zu unserer Website wurde erschwert, mehrere Soziale Medien haben unsere Accounts blockiert. Es liegt nun an uns allen, ob in Deutschland und der EU auch weiterhin ein Journalismus jenseits der Mainstream-Narrative betrieben werden kann. Wenn Euch unsere Artikel gefallen, teilt sie gern überall, wo Ihr aktiv seid. Das ist möglich, denn die EU hat weder unsere Arbeit noch das Lesen und Teilen unserer Artikel verboten. Anmerkung: Allerdings hat Österreich mit der Änderung des "Audiovisuellen Mediendienst-Gesetzes" am 13. April diesbezüglich eine Änderung eingeführt, die möglicherweise auch Privatpersonen betrifft. Deswegen bitten wir Euch bis zur Klärung des Sachverhalts, in Österreich unsere Beiträge vorerst nicht in den Sozialen Medien zu teilen.