Deutschland

Unionsparteien torpedieren Bürgergeld weiter – Millionär Merz vermisst "Eigenverantwortung"

Um das Bürgergeld, die reformierte Version der als Hartz IV bekannten Grundsicherung, brennt seit Wochen ein heftiger Streit. Zur Durchsetzung ist die Ampel auf die Unterstützung unionsgeführter Länder angewiesen. Diese sträuben sich trotz Nachbesserungen – teils anhand falscher Zahlen.
Unionsparteien torpedieren Bürgergeld weiter – Millionär Merz vermisst "Eigenverantwortung"Quelle: www.globallookpress.com © Karl-Josef Hildenbrand/dpa/ Global Look Press

Trotz der Änderungen am ursprünglichen Regierungsentwurf für das geplante Bürgergeld steht die Einführung zum 1. Januar wegen der sich christlich nennenden Parteien auf der Kippe.

So behauptete der ehemalige Cheflobbyist des weltweit größten Finanzkonzerns BlackRock, CDU-Chef Friedrich Merz, am Sonntag auf Twitter, dass aus einem zunächst für sich selbst verantwortlichen Bürger mit dem Bürgergeld mehr und mehr ein Versorgungsempfänger werde. Nicht Eigenverantwortung stehe bei der Reform im Vordergrund, "sondern ein paternalistischer Staat, der erst nimmt und dann einen Teil davon wieder gibt", gab Merz seine Interpretation preis.

Obwohl auch in Deutschland immer mehr Menschen in Existenznot geraten, da die seit Monaten um sich greifende Inflation mehrfach historische Marken überschritten hat und dabei insbesondere Geringverdiener besonders hart trifft, betonten auch andere Unions-Politiker jüngst erneut ihre ablehnende Haltung zu dem, was das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium seit der Ankündigung im Koalitionsvertrag als Reform der sogenannten Grundsicherung plant, die vor fast zwei Jahrzehnten konzipiert wurde und bereits das Bundesverfassungsgericht auf den Plan rief, weil sie in der bisherigen Ausführung schon vor den jüngsten Krisen keineswegs existenzsichernd war. Viele Betroffene fühlen sich entrechtet und entmündigt.

Dabei wurde zuletzt – nach heftigen Debatten zum Thema – im Sinne der Unionsparteien nachreformiert. Unter anderem hatten die Ampelparteien Verschärfungen bei der zweijährigen Karenzzeit – einer Art Schonzeit mit milderen Regelungen – erarbeitet. Mit dem geplanten Bürgergeld sollten die Regelsätze der Grundsicherung um rund 50 Euro pro Monat steigen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versprach, dass neben der Lücke zwischen der bisherigen Grundsicherung und den immensen Preissteigerungen auch viel Bürokratie abgebaut werden solle, während Arbeitslose eher von Weiterbildungen profitieren, was wiederum den von Arbeitgebern immer wieder vorgetragenen Fachkräftemangel mindern soll. Zudem müsse eigenes Vermögen von Arbeitssuchenden erst ab 60.000 Euro angetastet werden. Im Gegensatz zu dem von einigen Menschen geforderten bedingungslosen Grundeinkommen solle das Bürgergeld gezielt hilfebedürftigen Menschen zugutekommen, damit diese ihren Lebensbedarf selbst sichern können. Insbesondere solle eigene Leistung dadurch wertgeschätzt werden, dass weniger selbst verdientes Geld verrechnet wird, wodurch sich Arbeit mehr lohnen soll, als nicht zu arbeiten.

Laut der bekannten ehemaligen Arbeitsvermittlerin Inge Hannemann, die die "Hartz-IV Diktatur" stark kritisiert hatte, werden auch beim Bürgergeld die Regelsätze für Anschaffungen wie weiße Ware oder medizinische Bedarfe zu niedrig sein. Menschen würden auch mit dem Bürgergeld weiter aus der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen, schrieb sie.

Doch die Union sträubt sich weiter und entlarvt dabei selbst unter anderem Defizite bei ihren Rechenkünsten – ausgerechnet im stolzen Pisa-Vorzeigebundesland Bayern. So hatte CSU-Chef Markus Söder im ZDF behauptet, bestimmte Menschen in den unteren Einkommensgruppen würden "am Ende, wenn sie arbeiten, weniger haben, als wenn sie nicht arbeiten". Zuvor hatte seine Partei die Kampagne "Leistung muss sich lohnen!" initiiert, obwohl die Union eine Erhöhung des Mindestlohnes beharrlich abgelehnt hat und sich des Öfteren Parteivertreter, darunter Söder selbst, durch unsaubere Deals an der Staatskasse bereichert oder diese durch leistungsschwache Politik unnötig um hohe Millionenbeträge "erleichtert" haben.

Zum Zwecke der Argumentation wurden überschaubare, aber falsche Zahlen bemüht. Die CSU rechnete sodann vor: Ein Alleinstehender, der ab 2023 Bürgergeld empfange, habe am Ende vermeintlich genauso viel Geld zum Leben übrig wie ein vergleichbarer Arbeitnehmer mit einem Bruttolohn von etwa 2.500 Euro. Denn anders als der Arbeitslose bekomme der Arbeitnehmer weder Wohnung noch Energiekosten vom Staat finanziert, sondern müsse alles aus eigener Tasche bezahlen, so die Behauptung. Die CSU übernimmt für ihr Beispiel dieselben Daten, die schon Wochen zuvor etwa die rechtskonservative Wochenzeitung Junge Freiheit und auch mehrere AfD-Kreisverbände verbreitet hatten – obwohl das nicht korrekt ist.

Nicht nur die bekanntermaßen immens gestiegenen Stromkosten müssen Bürgergeld-Empfänger selbst zahlen, auch sind die Differenzen zu einem Gehalt durchaus größer als errechnet. Der Rentenbezug wird durch das Bürgergeld nicht verbessert. Weiterhin werden eine Reihe von Zuwendungen, die die zahlreichen Niedriglohnempfänger – besonders Familien – erhalten können, ausgeblendet, darunter Kinderzuschlag oder Wohngeld.

Gerade Alleinerziehende sind oft auf den Bezug der Grundsicherung angewiesen und können beispielsweise Unterhaltsvorschuss beantragen.

Dem Millionär Merz, der sich öffentlich der "gehobenen Mittelschicht" zurechnet, warf Arbeitsminister Heil vor dem Hintergrund der jüngsten Äußerungen Egoismus vor. "Was versteht Friedrich Merz von Eigenverantwortung? Dessen Motto ist doch, wenn jeder an sich selbst denkt, ist an alle gedacht", sagte Heil am Sonntag beim SPD-Debattenkonvent in Berlin. "Egoismus ist nicht unser Weg, das mag seiner sein."
In der Tat ist Heil nicht der einzige, der dem heutigen CDU-Chef diese Eigenschaft nachsagt. Als "Agent der Superreichen und Mächtigen" wurde Merz schon vor Jahren von den Politologen, Professor Dr. Peter Grottian und Dr. Werner Rügemer, bezeichnet.

Was die Union in die Debatte schmettert, seien laut Heil "Marktparolen". Geringverdiener dürften nicht gegen Bedürftige ausgespielt werden, wie einige Vertreter demokratischer Parteien es trotz der drohenden gesellschaftlichen Spaltung versuchten. "Es geht darum, dass wir mit dem Bürgergeld dafür sorgen, dass Menschen, die in existenzielle Not geraten, verlässlich abgesichert werden", so der Minister. Er hatte darauf verwiesen, dass viele Menschen unverschuldet in die Situation geraten sind, aber in hartnäckigen Fällen, wenn Bezieher des Geldes beispielsweise ihre Mitwirkungspflicht vernachlässigen, auch sanktioniert werde.

Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, gibt weiterhin zu bedenken, dass ein gewisser Abstand zwischen Erwerbseinkommen und Bürgergeld auch dadurch gehalten werden könne, dass die Entlohnung für Arbeit angepasst würde. "In Branchen, wo dies nicht gegeben ist, muss dringend nachgebessert werden", erklärte sie jüngst im Deutschlandfunk. Somit ist ihrer Ansicht nach nicht das Bürgergeld zu hoch, sondern die Gehälter sind teilweise zu niedrig.

Von den unionsgeführten Ländern und ihrem Votum im Bundesrat hängt die Einführung des Bürgergelds zum 1. Januar ab. Die Union hatte damit gedroht, die Sozialreform in der Länderkammer zu blockieren. Am 10. November findet die zweite und dritte Lesungim Bundestag statt, danach befasst sich erneut der Bundesrat damit.

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