Deutschland

MEMO-Jugendstudie: Interesse an der Nazi-Zeit, aber wenig Wissen darüber

Unter der Jugend in Deutschland besteht großes Interesse an der Geschichte der NS-Zeit, es gibt aber ebenso große Wissenslücken. Die Interpretation der Macher der Studie scheint jedoch eher von Wunschdenken getrieben zu sein.
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Die Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" (EVZ) hat in Kooperation mit der Universität Bielefeld die Jugendstudie MEMO (multidimensionaler Erinnerungsmonitor) durchgeführt und in Berlin der Öffentlichkeit vorgestellt.

Die EVZ wurde im Jahr 2000 mit dem Auftrag gegründet, "die Erinnerung an das Unrecht der nationalsozialistischen Verfolgung lebendig zu halten, die daraus erwachsende Verantwortung im Hier und Heute anzunehmen und für die Zukunft und nachfolgende Generationen aktiv zu gestalten". Ihr Budget erhält die Stiftung vom Bund und deutschen Unternehmen. Aktuell beträgt es rund 600 Millionen Euro.

Als Ziel der MEMO-Jugendstudie nennt die EVZ "die empirische Dokumentation der in Deutschland vorherrschenden Erinnerungskultur". Zusätzlich zu geschichtsbezogenen Fragestellungen habe man sich für die Themenbereiche persönliche Diskriminierungserfahrungen, soziales Engagement und den Ukraine-Krieg entschieden.

3.485 Teilnehmer wurden für die Studie im September/Oktober 2021 befragt und noch einmal 838 Personen im September 2022. Zum Zeitpunkt der Befragung waren die Teilnehmer zwischen 16 und 25 Jahre alt. Über die Hälfte hatte Abitur, elf Prozent verfügten über ein abgeschlossenes Studium, 18 hatten keine deutschen Elternteile.

Der Grundtenor der Verantwortlichen für die Studie: Die Jugend in Deutschland ist besser als ihr Ruf. So habe die Studie gezeigt, dass in der Jugend in Deutschland großes Interesse an Geschichte besteht und viele ihren Geschichtsunterricht mögen. "Da scheint in der Didaktik viel passiert zu sein", lautet der Schluss.

In ihrem Wunsch nach "faktenbasiertem" Lernen schätzten Jugendliche vor allem historische Orte. Geschichte müsse an ihre Lebenswirklichkeit "andocken", Gegenwartsbezüge seien wichtig. An wichtigen gesellschaftlichen "Aushandlungsprozessen", die die Stiftung in ihren Förderprogrammen aufgreift, möchten Jugendliche aktiv beteiligt werden.

Zudem bescheinigten die Studienmacher ihren Teilnehmern, diskriminierungssensibler als die Gesamtgesellschaft zu sein. Für viele Jugendliche heute sei es nicht verständlich, wie einfache Bürger den Nazi-Verbrechen tatenlos zusehen konnten. Gleichzeitig fühlen sich heutige Jugendliche häufiger diskriminiert. Laut der Studie ist jeder Fünfte sozial engagiert, besonders bei den Themen Klimaschutz und Antirassismus.

In der Befragung zum Ukraine-Krieg habe sich ein gemischtes Bild ergeben. Hier gebe es "in der Tendenz keine Bezüge zur historischen Verantwortung". Die "Solidarität deutscher Jugendlicher mit der Ukraine basiere nicht auf Wissen, sondern auf einem "Empathiegefühl". Hier könne man mit Bildungsarbeit "andocken".

Erst auf Nachfrage räumte man auf der Pressekonferenz bezüglich des Geschichtswissens unter Jugendlichen Defizite "substanzieller Natur" ein. Es herrsche ein vereinfachtes Geschichtsbewusstsein vor, das sich an Personen und Orten orientiere. Zudem bereite es den Studienmachern Sorgen, welche marginale Rolle Zeitzeugen bereits spielten.

Einordnung der Fragen und Antworten

Wie es zusammenpasst, dass die Mehrheit der Jugendlichen sich für Geschichte interessiert, es aber gleichzeitig große Wissenslücken gibt, ergibt sich aus der Studie nicht. (Interesse an einem Thema setzt in der Regel sogar Wissenslücken voraus.) Die optimistische Interpretation der Studienergebnisse widerspricht dem Ergebnis der quantitativen Befragung teilweise erheblich.

Ein Problem liegt darin, dass die Studienmacher die Antworten ihrer Teilnehmer nicht hinterfragen. So sagt das rein subjektive Interesse an Geschichte wenig über das tatsächliche Wissen über Geschichte aus. Natürlich würden Jugendliche (und Erwachsene) auf Nachfrage nicht gerne zugeben, wenigstens unbewusst, wenn sie kein Interesse an der NS-Zeit hätten. Der Grund ist auch die Erwartungshaltung, die in Deutschland hierzu existiert. Ein einfacher Notenspiegel oder ein Quiz hätten mehr Aussagekraft besessen.

Ebenso bedeutet es nicht, dass sich jemand mit Geschichte auseinandersetzt, nur weil er sie als wichtig erachtet. Statt zu fragen, wie oft sich die Teilnehmer in ihrer Freizeit mit Geschichte auseinandersetzen, hätte man etwa fragen können, wie diese Auseinandersetzung stattfindet.

Im qualitativen Teil nannten 58 Prozent Themen mit Bezug zum Zweiten Weltkrieg als besonders wichtiges Ereignis in der Geschichte, und 24,6 Prozent nannten Themen mit explizitem Bezug zum Nationalsozialismus. Daraus wurde in der Studie der "Kontext Zeit des NS", den 82,6 Prozent für besonders wichtig hielten. Zu den letztgenannten Ereignissen gehörten hingegen der Nahostkonflikt, Wirtschafts-, Finanz- und Bankenkrisen oder die Gründung des Deutschen Kaiserreichs.

Könnte diese Wertung damit zu tun haben, dass die Nazi-Zeit in der Popkultur, die Jugendliche bekanntlich gerne konsumieren, stark überrepräsentiert ist, während andere Themen eher trocken bzw. unterrepräsentiert sind? Wenig überraschend gaben lediglich 4,5 Prozent der Befragten an, "noch nie" einen Spiel- oder Dokumentarfilm zum Thema NS gesehen zu haben.

Hier scheint auch das Hauptbetätigungsfeld der jugendlichen Auseinandersetzung mit deutscher Geschichte zu liegen. Die meisten Jugendlichen suchen die Beschäftigung mit der NS-Zeit mithilfe von Dokus, Spielfilmen und Serien. Erst danach folgen Gedenkstätten, Unterricht und Bücher.

Die Frage, wie intensiv man sich in den letzten zwölf Monaten mit der Zeit des Nationalsozialismus beschäftigt habe, zielte erneut auf eine subjektive Selbsteinschätzung und scheint zu ignorieren, dass Jugendliche normalerweise Besseres zu tun haben, als sich in ihrer Freizeit mit Konzentrationslagern zu beschäftigen.

Ernst zu nehmende Schlüsse erlaubt die Studie womöglich nur dort, wo die Teilnehmer ihre Antworten selbst formulieren mussten. So gaben die Befragten an, beim Gedanken an die NS-Zeit zuerst Hitler, Verbrechen, KZ und Krieg vor Augen zu haben. Das offenbar verbreitete fehlende Vermögen, sich die NS-Zeit in einem größeren historischen Rahmen vorzustellen, zeigt sich an entsprechenden Kurzdarstellungen:

"Da war ein Mann, der selber nicht mal Deutscher war, der meinte, die deutsche Rasse aufrechtzuerhalten (blond und blaue Augen). Alle anderen Menschen und besonders Ausländer und Juden hatten kein Recht auf ein Leben und wurden in Konzentrationslager gesteckt oder vergast."

Den Schülern, von denen Beschreibungen wie jene stammen, kann man schwer einen Vorwurf machen. In Bezug auf die deutsche Geschichte liegt, wie man heute sagen würde, zweifellos ein "strukturelles" Problem vor. Interesse haben die Schüler mit Sicherheit. Da ein Drittel der Befragten nicht richtig beantworten konnte, welcher Zeitraum in Deutschland als die "Zeit des Nationalsozialismus" bezeichnet wird, wird ihr Interesse nicht ausreichend befriedigt, sei es zu Hause oder durch die Bildungsinstitutionen.

Auf die Frage, was sie an der NS-Zeit interessiert, nannten die Jugendlichen die Rolle der passiven Bevölkerung und die Rolle Hitlers. Auch dies ist sicher kein Zufall, da die Erinnerungskultur in Deutschland vor allem eindeutige Opfergruppen der NS-Zeit darstellt.

Interessen der Studienmacher

Könnte die Stiftung EVZ ein Interesse an einem bestimmten Ergebnis haben? Inwiefern waren die Macher der Studie an bestimmten Ergebnissen interessiert und legten die richtigen Antworten bereits in den Fragen an? Einerseits möchte die Stiftung ihr Angebot erweitern. Andererseits muss sie zeigen, dass ihr Engagement Früchte trägt. Dazwischen liegt das – im Fall der EVZ sehr große – Feld der Gründe für die Finanzierung.

Auch die genannten Wünsche der Studienteilnehmer könnten bereits von den Vorannahmen der Macher beeinflusst sein. Als "Träger der deutschen Erinnerungskultur" sind Jugendliche und junge Erwachsene für Stiftungen wie die EVZ eine "wichtige Zielgruppe" für die historisch-politische Bildungsarbeit. In diesem Sinne ist die EVZ daran interessiert, ihr Angebot und ihr Marketing zu verbessern.

Sehr zufrieden zeigte man sich daher bei der EVZ, wenn die Befragten zeigten, dass sie die Dispositive der deutschen Erinnerungskultur verinnerlicht haben, wie sich etwa an der Frage nach dem "Schlussstrich" unter die NS-Verbrechen zeigte. Nach Ansicht der meisten Teilnehmer dürfe es den nicht geben. Echte Defizite kann es aus Sicht der Studienmacher nicht wirklich geben, höchstens neue Betätigungsbilder oder Stellen, an denen nachjustiert werden muss, zum Beispiel beim Thema Kolonialismus und Ukraine.

Wie sich die Vertreter der Stiftung EVZ deutsche Vorzeigejugendliche vorstellen, wurde an den zwei Mitarbeitern des Anne-Frank-Zentrums deutlich. Zur Fragerunde nach dem Pressetermin durften sie unter Beweis stellen, wie gut sich in jungen Jahren bereits den Jargon der deutschen Erinnerungskultur beherrschten. Den durchschnittlichen Jugendlichen in Deutschland repräsentierten sie mit Sicherheit nicht.

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