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Weizenreserven der Welt laufen in zehn Wochen aus: Wie kam es dazu – und wer ist schuld?

Russland und die Ukraine gehören zu den wichtigsten Weizenexporteuren der Welt. Die Ursachen der aktuellen Ernährungskrise sind allerdings nicht nur auf den Konflikt zwischen den beiden Ländern zurückzuführen. Auch andere Faktoren spielen eine Rolle – so etwa die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie.
Weizenreserven der Welt laufen in zehn Wochen aus: Wie kam es dazu – und wer ist schuld?Quelle: www.globallookpress.com © Ahmed Gomaa / XinHua

Die Ernährungssituation in der Welt verschlechtert sich weiter und spiegelt sich nicht nur in politischen Reden, sondern vor allem in realen Zahlen wider. So warnte die Direktorin des Analyseunternehmens Gro Intelligence, Sara Menker, am 19. Mai in ihrem Bericht an den UN-Sicherheitsrat, dass die Weizenreserven der Welt in etwa zehn Wochen erschöpft sein werden. Die Ursachen der aktuellen Ernährungskrise sind nicht nur auf den aktuellen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zurückzuführen. Beide sind die Schlüsselländer der Versorgung mit diesen und einigen anderen Grundnahrungsmitteln.

Die Gründe der Krise sind auch nicht ausschließlich die Folge der antirussischen Sanktionen des Westens. Auch die negativen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie, die Unterbrechung von Lieferketten sowie extreme Naturphänomene spielen dabei eine Rolle.

Steigende Preise

Nach Angaben der Nachrichtenagentur AFP erreichten die Weizenpreise in Europa am 16. Mai ein Rekordhoch, nachdem sie an der Euronext-Börse auf 456,68 Dollar pro Tonne in die Höhe geschossen waren. An demselben Tag standen Weizen-Futures-Verträge an der Chicagoer Börse irgendwann bei 12,47 Dollar pro Scheffel (eine Maßeinheit für Getreide, entspricht etwa 27 Kilogramm). Die Medien berichten, dass die weltweiten Getreidepreise seit Beginn der Kämpfe in der Ukraine um 40 Prozent gestiegen seien.

Experten weisen jedoch darauf hin, dass die aktuelle Krise nicht erst seit der russischen Militäroperation in der Ukraine begonnen hat. "Ich möchte zunächst ausdrücklich sagen, dass der Krieg zwischen Russland und der Ukraine die Ernährungskrise nicht ausgelöst hat. Er hat nur Öl in das Feuer gegossen, das seit Langem brennt", sagte Menker in ihrem Bericht an den UN-Sicherheitsrat. Sie betonte:

"Schon lange bevor die COVID-19-Pandemie die Zerbrechlichkeit unserer Lieferketten offenlegte, haben wir krisenhafte Erschütterungen festgestellt. Ich bin auch dieser Ansicht. Wir glauben, dass es wichtig ist, dass Sie alle verstehen, dass unsere Versorgung mit Lebensmitteln auch dann ein Problem darstellt, wenn der Krieg morgen enden würde. Die Probleme der Ernährungssicherheit werden kurzfristig nicht ohne konzertierte Maßnahmen verschwinden."

David Beasley, Exekutivdirektor des UN-Welternährungsprogramms (WFP), bestätigte seinerseits Menkers Alarm und wies darauf hin, dass die aktuelle Krise bereits zu Protesten und Unruhen in Sri Lanka, Indonesien, Pakistan und Peru führt. "Wir haben bereits destabilisierende Dynamiken in der Sahelzone von Burkina Faso, Mali, Tschad gesehen. (...) Sie sind nur Anzeichen dafür, was kommen wird", erklärte er auf derselben Sitzung des Sicherheitsrates.

Weitere besorgniserregende Daten werden in einem am 23. Mai veröffentlichten Bericht der Eurasia Group und DevryBV Sustainable Strategies enthüllt, in dem festgestellt wurde, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent die Zahl der Menschen, die unter der Ernährungsunsicherheit leiden, bis November zwischen 142 und 243 Millionen ansteigen wird. Dieser Index lag Mitte Mai dieses Jahres bei 1.600 Millionen Menschen.

Indien: Hitze- und Exportverbot

Einer der Faktoren, die zur Verschlechterung der Ernährungssicherheit beigetragen haben, insbesondere bei Weizen, war die extreme Hitzewelle, die Indien Ende April und Anfang Mai heimsuchte. Die Temperaturen erreichten fast 50 Grad.

Darüber hinaus beschlossen die indischen Behörden, den Export von Weizen angesichts des "plötzlichen Anstiegs der weltweiten Weizenpreise" zu verbieten. Er sei durch "zahlreiche Faktoren, die die Ernährungssicherheit Indiens, der Nachbarländer und anderer Länder gefährden", verursacht worden.

Wer ist daran schuld?

Westliche Führer machen Russland für die aktuelle Krise verantwortlich und weisen darauf hin, dass Moskau ukrainische Häfen am Schwarzen Meer blockiert und Kiew daran gehindert habe, seinen Weizen zu exportieren. Insbesondere schätzte US-Außenminister Antony Blinken, dass die Nahrungsmittelversorgung für Millionen Menschen auf der ganzen Welt "vom russischen Militär buchstäblich als Geisel genommen wurde".

In diesem Sinne beschuldigte er Moskau, Lebensmittel als Waffe einzusetzen, um die Ziele der Militäroperation zu erreichen, und wies darauf hin, dass 20 Millionen Tonnen Getreide ungenutzt in ukrainischen Silos verbleiben.

Unter anderen politischen Erklärungen hebt sich diejenige der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock hervor, die am 14. Mai auf Russland einschlug, weil es einen "Getreidekrieg" führe, und warnte, dass die Welt vor einer "brutalen Hungersnot" stehen könnte. Der russische Außenminister Sergei Lawrow erklärte seinerseits, dass die Maßnahmen Moskaus "in keiner Weise die Ernährungsprobleme der Welt beeinflussen" und dass die Versorgungsschwierigkeiten auf "die Verhängung unrechtmäßiger Sanktionen durch den Westen" zurückzuführen seien (z.B. das Verbot für russische Schiffe, in fremden Häfen anzulegen, weswegen andere Länder keinen russischen Weizen entgegennehmen können). Außerdem werde die Lage durch die Verminung der Küstengewässer der Ukraine und deren Häfen durch die ukrainischen Streitkräfte erschwert. Lawrow wies in seiner Rede darauf hin, dass die Ernährungskrise allein durch die Handlungen des Westens entstanden sei.

Unterdessen erklärte der russische Präsident Wladimir Putin, dass hauptsächlich westliche Sanktionen gegen Russland eine globale Krise verursachen würden. Darüber hinaus betonte er, dass die ärmsten Länder der Erde bereits von einer Hungersnot bedroht seien. Der Präsident versicherte, dass "die Schuld dafür ausschließlich bei den Eliten der westlichen Länder liegt".

Wege zur Lösung

UN-Generalsekretär António Guterres rief am 19. Mai dazu auf, die ukrainische Agrarproduktion sowie Lebensmittel und Düngemittel aus Russland und Weißrussland wieder in den Weltmarkt zu integrieren. In diesem Sinne versicherte er, dass die Institution an einer Vereinbarung arbeite, die die Rückführung ukrainischer Lieferungen durch das Schwarze Meer ermöglicht, und russische Produkte ihre Empfänger ohne Einschränkungen erreichen können.

Unterdessen betonte Russlands Ständiger Vertreter vor dem UN-Sicherheitsrat Wassili Nebensja, dass ukrainischer Weizen auf der Schiene sowie per Lastkahn auf der Donau aus dem Land transportiert werde. Er erklärte:

"Wohin geht es? Wir haben den begründeten Verdacht, dass dieses Getreide nicht den hungrigen Bedarf des globalen Südens decken wird, sondern stattdessen die Getreidespeicher der europäischen Länder füllen wird. Wir verstehen, dass die Ukraine für vom Westen gelieferte Waffen bezahlt."

Präsident Putin seinerseits deutete am vergangenen Donnerstag in seinem Telefongespräch mit dem italienischen Ministerpräsidenten Mario Draghi an, dass Moskau bereit sei, in einem bedeutenden Ausmaß zur Lösung der Ernährungskrise beizutragen. Man könnte Getreide und Düngemittel exportieren, sobald dies möglich sei, wenn einige Länder die Sanktionen zurücknehmen.  

Darüber hinaus berichtete das russische Verteidigungsministerium an demselben Tag über die tägliche Öffnung eines humanitären Korridors im Asowschen Meer für die Abfahrt ausländischer Schiffe aus der Stadt Mariupol (Donbass).

Russland organisierte zusätzlich eine weitere Route für die Abfahrt von ausländischen Schiffen aus ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer, die aufgrund der Verminung seit Kriegsbeginn nicht auslaufen konnten.

Obwohl sich UN-Generalsekretär Guterres persönlich an die Regierung von US-Präsident Joe Biden wandte, versicherten die USA, dass sie die gegen Moskau verhängten Sanktionen nicht lockern würden, weil sie nicht hinter dem Anstieg der Lebensmittelpreise stünden.

In ähnlicher Weise versicherte der Sprecher des Außenministeriums Ned Price, dass die "Sanktionen keine Unterbrechungen der russischen Agrarexporte verursachen", und fügte hinzu, dass "sie speziell entwickelt wurden, um den Export von Agrarprodukten und Düngemitteln aus Russland zu ermöglichen".

Mehr zum Thema - Europa – wie die ewig Satten auf eine selbst gemachte Hungerkrise zusteuern

Übersetzt aus dem Spanischen.

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