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The Economist: Westen muss wieder lernen, Kompromisse zu schließen

In einem Leitartikel wirbt "The Economist" für mehr Pragmatismus. Angesichts des zunehmenden Einflussverlustes sollte nicht moralische Hybris außenpolitischer Leitfaden sein, sondern Realismus. Der Beitrag hält an Klischees fest, deutet aber auf ein Umdenken hin.
The Economist: Westen muss wieder lernen, Kompromisse zu schließen

Im etablierten britischen Wirtschaftsmagazin The Economist erschien Ende Juli ein Artikel unter der Überschrift "How to deal with Despots". 

Der Leitartikel widmet sich einem sich immer deutlicher zeigenden Problem westlicher Politik. Einerseits beansprucht der Westen, ethisch zu sein, andererseits führt genau dieser Anspruch oft zu Ineffektivität und Inkonsistenz, stellte der Autor fest.

Die ersten 15 Jahre nach dem Fall der Sowjetunion schien erst einmal alles gutzugehen. Die USA waren die einzig verbliebene Weltmacht, der Liberalismus hatte über den Kommunismus gesiegt und konnte seinen moralischen Kodex gegenüber Tyrannen und Terroristen etablieren. Der Westen hatte sich mit seinen Werten durchgesetzt.

Weitere 15 Jahre später, so konstatierte der Autor, ist von all dem kaum etwas übrig geblieben. Westliche Außenpolitik versinke im Chaos, so seine Aussage. Er nahm den Umgang des Westens mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman zum Anlass, um über die Gründe für den Niedergang nachzudenken. Am Umgang des Westens mit dem saudischen Kronprinzen ließe sich die Erosion der drei Säulen der westlichen Außenpolitik ablesen – Werte, Macht und historische Bestimmung.

Der saudische Kronprinz sei gewalttätig, unberechenbar und unterdrücke die Opposition. Er ist verantwortlich für die Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi, sei gleichzeitig aber auch Reformer. Vor allem aber ist er der Mann, der es den Vereinigten Staaten ermögliche, gegen einen noch viel gefährlicheren Mann vorzugehen: Wladimir Putin. Der Autor sah das Dilemma: Ist es unter ethischen Gesichtspunkten notwendig, den Kronprinzen zu meiden oder ihn zu unterstützen?

Die Personalie Mohammed bin Salman zeige aber nach Auffassung des Economist auch die Erosion der Macht der USA. In den vergangenen 15 Jahren hätten die Vereinigten Staaten an Macht eingebüßt. Zuletzt habe es der Kronprinz sogar verweigert, die Anrufe von US-Präsident Joe Biden entgegenzunehmen. Stattdessen habe sich Saudi-Arabien China und Russland angenähert. Saudi-Arabien sei zwar ein Schlüssel zu einer für die USA wichtigen Region, die man zudem versucht hat, über Kriege an sich zu binden. Bei den Wüstenkriegen hat sich jedoch gezeigt, dass man Menschen nicht dadurch vom Liberalismus überzeugen könne, indem man auf sie schießt.

Der Autor stellte fest, dass der saudische Kronprinz glaube, einen westlichen Lebensstandard erreichen zu können, ohne dabei die Unbequemlichkeiten von Demokratie und Menschenrechten umsetzen zu müssen.

Mit dieser Auffassung, da ist sich der Economist sicher, stehe Mohammed bin Salman nicht allein. Auch China stelle Frieden und ökonomische Entwicklung über Werte wie freie Wahlen und freie Meinungsäußerung. Ebenso habe Putin mit dem Einmarsch in die Ukraine den Werten der Aufklärung den Krieg erklärt, meinte der Autor des Leitartikels.

Der Economist versicherte seinen Leser, das Wirtschaftsmagazin glaube weiterhin an die Werte der Aufklärung und die daraus entstandenen Institutionen. Aber der Westen müsse auch verstehen, dass die weitere Verbreitung der westlichen Weltsicht ins Stocken geraten ist. Daher werbe der Leitartikel für ein besseres Ausbalancieren von dem, was wünschenswert und dem, was tatsächlich möglich ist.

Für den Westen sei der beste Weg, Vorwürfe der Heuchelei zu vermeiden, in dem er sich mit moralischen Bewertungen zurückhält. Westliche Führer müssten sich klarmachen, welchen realen Einfluss sie tatsächlich noch haben. Die Annahme, der Rest der Welt würde den Westen weit mehr benötigen als der Westen den Rest der Welt, sei heute weniger wahr denn je.

Noch im Jahr 1991 hatten die G7-Länder 66 Prozent des globalen BIP erwirtschaftet, heute seien es nur 44 Prozent. Die Annahme, durch globalen Handel und eine Heerschar von Menschenrechtsanwälten könnten Diktaturen von ihren Defiziten befreit werden, sei falsch gewesen. Wenn also westliche Führer Sanktionen gegen Übeltäter erlassen wollten, sollten sie die erwartbaren Resultate im Blick haben und nicht den Anschein von Tugendhaftigkeit erzeugen wollen.  

Zudem müsse auch westliche Politik wieder die Fähigkeit erlernen, Kompromisse zu schließen. Was anderen Ländern eine Selbstverständlichkeit sei, hätte der Westen verlernt. Wichtig ist zu verstehen, dass der Versuch, anderen Ländern westliche Werte überzustülpen, für den Westen selbstzerstörerisch sei. Das Beispiel dafür ist Mohammed bin Salman und die Entwicklung der Beziehung der USA zu Saudi-Arabien. Veränderung benötigt Geduld. Das mag nicht so befriedigend sein wie die öffentliche Anklage und der Ruf nach Boykott und Sanktionen, aber vermutlich sei dies der einzige Weg, ist sich der Economist sicher.

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