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Ukraine-Krieg entwickelt sich zum Konflikt zwischen dem Westen und dem Rest der Welt

Hinter der Aufregung, welche die Äußerungen des chinesischen Botschafters in Frankreich über den Status der Krim hervorgerufen haben, steckt mehr als bloße Empörung, die der aktuellen Lage geschuldet ist. Der Diplomat traf den wunden Punkt einiger post-sowjetischer Republiken.
Ukraine-Krieg entwickelt sich zum Konflikt zwischen dem Westen und dem Rest der WeltQuelle: www.globallookpress.com © Panoramic/Keystone Press Agency

Französischen Presseberichten zufolge haben die Bemerkungen des chinesischen Botschafters in Frankreich, Lu Shaye, über die Krim "Bestürzung" hervorgerufen (RT DE berichtete). Shaye hatte am vergangenen Freitagabend an einer politischen Talk-Runde des Fernsehsenders LCI teilgenommen und dabei die Tatsache in Erinnerung gerufen, dass die ehemaligen Sowjetrepubliken als Teil der Sowjetunion keine völkerrechtliche Souveränität besaßen. Rechtlich ebenso fragwürdig sei die Eingliederung der Krim 1954 in das Territorium der ukrainischen Sowjetrepublik gewesen.

"Kein effektiver Status im internationalen Recht"

Zudem vertrat Lu Shaye auch mit Blick auf die heutige Zeit die Ansicht, dass die Länder der ehemaligen UdSSR "keinen effektiven Status im internationalen Recht haben, weil es kein internationales Abkommen gibt, das ihren Status als souveräne Länder konkretisiert".

Hinsichtlich der Krim erklärte Shaye:

"Es hängt davon ab, wie man dieses Problem wahrnimmt. Da gibt es die Geschichte. Die Krim gehörte ganz am Anfang zu Russland. Es war Chruschtschow, der die Krim der Ukraine in der Zeit der Sowjetunion angeboten hat."

Der chinesische Diplomat rief dazu auf, mit dem "Gezänk" über die Frage der postsowjetischen Grenzen aufzuhören. Gegenwärtig sei es "am dringendsten", einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine zu erreichen.

Das französische Außenministerium reagierte auf die Äußerungen des Botschafters mit einer Erklärung, der zufolge es diese Äußerungen "mit Bestürzung zur Kenntnis genommen" und China aufgefordert habe, "zu sagen, ob dies die (offizielle) Position widerspiegelt, was hoffentlich nicht der Fall ist".

Erweiterung der Perspektive

Der russische Politologe Alexander Nossowitsch, Chefredakteur des Portals für außenpolitische Analysen RuBaltic.Ru und Experte für internationale Beziehungen und Osteuropa, hat seinerseits per Telegram die Aufregung kommentiert, die auf die Äußerungen des chinesischen Diplomaten im "kollektiven Westen" folgte.

So wies Nossowitsch auf den Umstand hin, "dass nur die baltischen Staaten und die Ukraine über die Äußerungen des chinesischen Botschafters in Frankreich empört waren, wonach der völkerrechtliche Status der ehemaligen Sowjetrepubliken als souveräne Staaten fraglich sei".

Aus anderen Republiken, die aus der Sowjetunion hervorgegangen sind, war kein Unmut über die Bemerkungen des chinesischen Diplomaten zu vernehmen:

"Armenien, Weißrussland, Kasachstan und andere, darunter aus irgendeinem Grund sogar Georgien und Moldawien, haben sich noch nicht empört. Das bedeutet sicherlich nicht, dass sie mit dem Botschafter darin übereinstimmen, dass ihr völkerrechtlicher Status als unabhängige Staaten unrechtmäßig ist. Es bedeutet, dass sie diesen Status nicht durch China bedroht sehen."

Probleme der Legitimität

Unzweifelhaft verstand man im Baltikum und in der Ukraine die Hinweise Lu Shayes richtig, wie Nossowitsch ausführt. Und man reagierte seinerseits mit Drohungen gegen die Staaten, die sich dem westlichen Hegemonialanspruch entgegenstellen. Weil sie sich im Bunde mit den USA sicher wähnen, scheuten diese Länder nicht vor einem Konflikt mit Peking zurück. Nossowitsch kommentiert sarkastisch:

"Wenn die Äußerungen seiner Vertreter als Drohungen aufgefasst werden, dann sind sie Drohungen gegenüber Ländern, die danach streben, größere Amerikaner zu sein als Amerika selbst. Ist Litauen in den eskalierenden Beziehungen zwischen den USA und China neutral? Nein, es würde einen militärischen Konflikt zwischen den beiden Ländern nur begrüßen: Er würde ihm eine neue Rolle in Europa verschaffen, die es ihm ermöglicht, seine Loyalität zu demonstrieren und seine großen, aber unentschlossenen NATO-Verbündeten in Europa dazu zu bewegen, sich an der Seite der USA in den Krieg einzuschalten."

Denn, wie Nossowitsch unterstellt, man ist sich in den baltischen Hauptstädten durchaus der Tatsache bewusst, auf welch rechtlich fragwürdige Weise die Eigenstaatlichkeit im Zuge des Zusammenbruchs der Sowjetunion zustande gekommen ist:

"Dementsprechend macht es für Peking Sinn, sich in die baltische Forschung zu vertiefen und für die Zukunft klarzustellen, dass die Abspaltung Litauens von der Sowjetunion am 15. September 1991 rechtlich illegal war. Vielleicht wird es sich als nützlich erweisen …"

Nur geliehene "Stärke"

Doch ungeachtet dieses Umstands gehört Litauen zu den Ländern im östlichen Europa, die einen scharf antichinesischen Kurs fahren – den sie sich nur aufgrund der US-amerikanischen Rückendeckung erlauben können.

Und Kiew verfährt nach demselben Grundsatz, wie Nossowitsch erläutert:

"Mit der Ukraine verhält es sich genauso. Kiew betrachtet China als einen potenziellen Feind, und zwar aus dem einfachen Grund, dass es (Kiew) ein bedingungsloser Satellit der USA ist. Der Feind meines Chefs ist mein Feind. Daher reagiert Kiew auf die Worte des chinesischen Botschafters wie auf einen Akt der Aggression, während Minsk zum Beispiel nicht so reagiert."

Für den russischen Außenpolitik-Experten zeigt sich darin ein Muster, das im Laufe des Krieges in der Ukraine immer deutlicher werde. Mochte es in der ersten Hälfte des Jahres 2022 noch so scheinen, als handele es sich um einen Stellvertreterkrieg, bei dem Russland als unterlegene Seite allein gegen den "kollektiven Westen" steht, so könnte sich dieses Verhältnis mit der Zeit umkehren:

"Seit Herbst gebe ich immer wieder Beispiele dafür, dass sich der Konflikt um die Ukraine allmählich von einem Konflikt zwischen Russland und dem Westen zu einem Konflikt zwischen dem Westen und dem Rest der Welt entwickelt."

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