Meinung

Sicherheitsgarantien für Russland sind Sicherheitsgarantien für Europa

Russland fordert von den USA Sicherheitsgarantien. Der Westen und auch Deutschland reagieren auf die Forderung ablehnend. Die Expansion der NATO soll weitergehen. Dabei wird übersehen: Die russischen Sicherheitsinteressen decken sich mit denen der EU und Deutschlands.
Sicherheitsgarantien für Russland sind Sicherheitsgarantien für EuropaQuelle: Gettyimages.ru © George Mdivanian / EyeEm

von Gert-Ewen Ungar

Am 26. Januar teilte das russische Außenministerium auf seinem Telegram-Kanal mit, der US-Botschafter John Sullivan hätte um ein Treffen gebeten. Bei diesem Treffen übergab er einen Brief mit der Antwort auf die von Russland geforderten Sicherheitsgarantien.

Einen Tag später teilte der russische Außenminister Lawrow mit, die Antwort sei nicht befriedigend. Auf den zentralen Punkt, die NATO nicht weiter auszudehnen sei nicht eingegangen worden. Russland fordert von den USA konkrete Sicherheitsgarantien. Zentraler Punkt dabei ist, dass die NATO weder die Ukraine noch Georgien aufnimmt und eingegangene Bündnisse zurückbaut.

Russland fordert Sicherheitsgarantien nicht von der EU oder den west- und mitteleuropäischen Ländern, sondern von den USA. Das macht deutlich wie sehr Russland davon ausgeht, dass die EU nicht in der Lage ist, eine eigenständige, verantwortungsvolle Politik für den europäischen Kontinent zu machen. Die EU exekutiert im Kern die US-amerikanische Außen- und Machtpolitik. Russland wiederum fühlt sich dadurch bedroht: vom Westen, von der NATO, von den USA und dem Vasall EU.

Historisch hat Russland dazu allen Grund. Denn es hat aggressive Nachbarn, die das Land mehrfach überfallen haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelang es der Sowjetunion ausgehend von der Konferenz in Jalta, bei der Europa in Einflusszonen aufgeteilt wurde, mit den Staaten des Warschauer Vertrags eine Sicherheitszone um das Kernland zu legen.

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 fiel dieser Sicherheitspuffer weg. Denn die Staaten des Warschauer Paktes gaben ihre frisch gewonnene Unabhängigkeit zugunsten einer Integration in die EU und vor allem in die NATO in weiten Teilen wieder auf. Die NATO breitete sich in der Folge weiter nach Osten bis an die Grenze Russlands aus. Die NATO ist ein offenes Bündnis heißt es. Es bestehe Bündnisfreiheit. Jedes Land kann wählen, welchem Bündnis es angehören möchte.

Das gilt für alle Länder, außer für Russland. Denn als Russland in den 1990er Jahren mit dem Gedanken spielte, in die NATO einzutreten, wurde das Ansinnen unmittelbar zurückgewiesen. Nein, die NATO ist kein offenes Verteidigungsbündnis, die NATO fand nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihre neue Aufgabe als Bündnis gegen Russland und Russlands geostrategische Interessen. 

Und während man in Russland in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, wie auch im Westen, an die Erzählung vom ''Ende der Geschichte'' glaubte – nach der es nur noch ein System gibt, in dem der Markt eine zentrale regulierende Funktion einnimmt, der sich alle Regierungen dieser Welt und alle Politik unterzuordnen habe – brachte der völkerrechtswidrige Überfall der NATO auf Jugoslawien 1999 für Russland schließlich den heilsamen Schock. Die neu gewonnenen Freunde waren keine. Oder zumindest sehr falsche.

Mit dem wirtschaftlichen Erfolg, der damit verbundenen Rückkehr Russlands auf die Weltbühne sowie dem sich abzeichnenden ökonomischen Niedergang der westlichen Allianz, allen voran der EU, agiert der Westen immer aggressiver. Der Putsch in der Ukraine, der Druck der EU auf die Ukraine, sich für eine Seite entscheiden zu müssen, sind Teil dieser Aggression. Man hätte das auch vernünftiger, weitsichtiger und vor allem weit mehr im Interesse Europas angehen können – das eben nicht nur aus der EU besteht. Die offene Unterstützung der Putschisten durch westliche Politiker verstieß gegen die Schlussakte von Helsinki. Darin hatten sich die Vertragspartner einst versprochen, keinen Einfluss auf die inneren Angelegenheiten anderer Länder zu nehmen. 

Gerade im Hinblick auf die Ukraine hat die EU gezeigt, dass sie nicht in der Lage ist, die friedenspolitischen Interessen des europäischen Kontinents als Ganzes zu vertreten. Die aktive Unterstützung des Putsches in Kiew hat zu einer erneuten Spaltung des Kontinents geführt, in dessen Folge die Grenzen verschoben wurden. Die Krim hat sich aus rational vollkommen nachvollziehbaren Gründen für die Eingliederung in die Russische Föderation entschieden. In der Ukraine begann ein Bürgerkrieg, der sich für alle absehbar auch auf der Krim ausgebreitet hätte.

Es herrscht inzwischen in der Ukraine das Gegenteil von all dem, was die ausländischen Unterstützer des Maidan den Ukrainern mit der Annäherung an den Westen versprochen hatten. In der Ukraine herrscht wirtschaftlicher Niedergang, eine strenge Zensur, die Opposition wird unterdrückt. Es herrscht offene Diskriminierung der russischen Sprache, und in der öffentlichen Debatte dominieren rechte und faschistische Positionen. Es gibt antirussische Pogrome, Todeslisten und massive, häufig tödliche Gewalt gegen Andersdenkende. Das Land ist nicht souverän, sondern finanziell und politisch vollkommen vom Westen abhängig. Der Maidan hat das Gegenteil von dem gebracht, was versprochen worden war. 

Aus Sicht der Krim ist es daher nur vernünftig, der Ukraine nicht angehören zu wollen. Das Geschrei angesichts der Entscheidung der Krim war dennoch groß. So groß, dass auch acht Jahre nach dem Referendum jedem das Karriereende droht, der auf die Tatsache verweist, dass die Krim russisch ist und das auch bleiben wird. Realitätsbezug ist aktuell keine Stärke Deutschlands. 

Das Engagement der EU und Deutschlands in der Ukraine war ein historischer Fehler, der seinen Ursprung auch in der fehlerhaften Selbsteinschätzung der EU hat. Es fehlt aktuell an wirtschaftlicher Kraft, um ein Land von der Größe der Ukraine ökonomisch so zu integrieren, dass dort ausreichend Wohlstand  entsteht, der die Nation eint. 

Die Geschichte der Krim, die Geschichte der Grenzverschiebung in Europa wird sich voraussichtlich wiederholen. Das die Entwicklung begleitende Geschrei und Gezeter der EU absehbar auch. Die Republiken im Donbass nehmen im Februar Gespräche mit Russland über eine mögliche Eingliederung in die Russische Föderation auf. Den Wunsch, in die Russische Föderation integriert zu werden, gibt es indes bereits seit 2014. Russland hatte sich dem bisher allerdings verweigert. Sollte die Ukraine tatsächlich eine groß angelegte Offensive im Donbass beginnen, wird sich Russland dieses Mal wohl offen zeigen. 

Faktisch ist der Donbass schon zu einem großen Teil integriert. Kiew erfüllt seine administrativen Aufgaben im Donbass schon lange nicht mehr. Was als Bestrafung gedacht war, hat den Donbass an Russland gebunden. Die Auszahlung von staatlichen Geldern, wie beispielsweise Pensionen, verweigert die Ukraine dem Donbass ebenso wie das Ausstellen von Ausweispapieren und offiziellen Dokumenten. Faktisch ist der Rubel die Währung des Donbass. Faktisch stellt Russland Ausweispapiere für die Bewohner aus. Faktisch ist der Donbass administrativ bereits in vielen Bereichen russisch. Die Ukraine hat den Donbass vehement von sich weggedrängt. 

Das Verfahren wegen Hochverrats gegen den ehemaligen Präsidenten Poroschenko verstärkt diesen Eindruck. Angeklagt ist er, weil er Steinkohle aus dem Donbass gekauft und damit nach Auffassung seines Kontrahenten und dem aktuellen Präsidenten Selenskij die Separatisten finanziell unterstützt hat. Der Hardliner Poroschenko, der nichts unternommen hat, den Bürgerkrieg zu beenden, ist für Selenskij, der mit dem Versprechen angetreten war, das Land zu einen und den Bürgerkrieg zu beenden, Hochverräter und Agent Putins. Die Verhältnisse haben sich umgekehrt. Selenskij, als Taube angetreten, ist längst zum Falken geworden, der die Politik Poroschenkos in aggressiver Weise fortführt. Aus diesem Grund stehen die Chancen Poroschenkos bei der nächsten Wahl an die Macht zurückzukehren nicht schlecht. Der Donbass aber wurde auch von Selenskij weiter in Richtung Russland gedrängt.   

Die Europäische Union wiederum hat faktisch keine Schritte unternommen, den Konflikt zu befrieden. Die Umsetzung der Minsker Abkommen hat die EU, haben namentlich Deutschland und Frankreich aktiv sabotiert. Nämlich indem sie ihren Verpflichtungen als Garantiemächte nicht nachgekommen sind, Druck auf die Ukraine zur Umsetzung der verabredeten Schritte auszuüben. Die EU trägt eine gravierende Mitschuld an der aktuellen Situation. Sie verwaltet die Sicherheitsinteressen des europäischen Kontinents schlecht. Denn faktisch sind die russischen Sicherheitsinteressen auch die Interessen des europäischen Kontinents und der EU.

Die Europäische Union kann kein Interesse daran haben, Europa zum Austragungsort der Konfrontation zwischen den USA und Russland zu machen. Es wäre daher wünschenswert, die EU würde sich auf die eigenen Interessen besinnen und die Vorschläge Russlands im Zusammenhang mit der Ausdehnung der NATO auch in ihrem eigenen sicherheitspolitischen Horizont bedenken. Es wird dann unmittelbar klar, dass die Sicherheitsinteressen Russlands im Grundsatz mit denen der EU identisch sind. Es darf keinen Bündnisbeitritt eines Landes gegen die Sicherheitsinteressen Russlands geben. Denn das bringt Europa aus dem Gleichgewicht. 

Der Verweis auf die Bündnisfreiheit gilt hier nicht. Denn in allen Dokumenten zum Thema wurde festgehalten, dass bei der Bündniswahl selbstverständlich auch die Balance der Sicherheitsarchitektur als Ganzes in den Blick genommen werden muss. Es darf nicht Sicherheit für einige auf Kosten der Sicherheit anderer geben. Das aber ist mit der Ausdehnung der EU und vor allem der NATO der Fall. 

Das größte Opfer in diesem Konflikt bringt aktuell übrigens die Ukraine. Deren vitale Interessen werden ignoriert. Von der westlichen Propaganda eines angeblich unmittelbar bevorstehenden russischen Einmarsches in die Ukraine distanziert sich inzwischen sogar der Präsident der Ukraine Selenskij. Nachdem die Ukrainer mit Hamsterkäufen begannen, beruhigt er. Es handele sich um Panikmache in den westlichen Medien, sagt er mit Blick auf mögliche Versorgungsengpässe. 

Perspektivisch sollte die EU der Ukraine wieder erlauben, ihre natürliche Brückenfunktion zwischen Ost und West einzunehmen. Eine einseitige Anbindung der Ukraine an den Westen ist nicht im Interesse Russlands, aber auch nicht im Interesse der Ukraine und der EU. Russland hat in diesem Zusammenhang nicht nur die eigenen Sicherheitsinteressen formuliert, sondern die des gesamten europäischen Kontinents. Für die Europäische Union ist es von vitaler Bedeutung, das darin enthaltene Angebot zu verstehen. Es würde zudem eine Rückkehr der EU auf die politische Bühne bedeuten. Denn dann würde sie für alle sichtbar die eigenen Interessen vertreten, und nicht als Vasall der USA agieren.

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