Meinung

Leipzig: Störertrupp um linke Landtagsabgeordnete überfällt Vorführung bei Filmfestival

In der Leipziger "linken" Szene ist Gewalt nichts Neues. Am 18. August wollten Globalisierungskritiker um den Aktivisten Mike Nagler Oliver Stones Ukraine-Doku vorführen und diskutieren. Ukraine-Freunde provozierten, und eine "linke" Landtagsabgeordnete spielt dabei mehr als nur eine Zuschauerrolle.
Leipzig: Störertrupp um linke Landtagsabgeordnete überfällt Vorführung bei FilmfestivalQuelle: Gettyimages.ru © imagoimages.de

Von Anton Gentzen

globaLE heißt das politische Filmfestival, das seit 2005 jährlich in der sächsischen Universitäts- und Messestadt Leipzig stattfindet, in diesem Jahr zum 18. Mal. Gezeigt werden Dokumentarfilme zu verschiedensten Konflikten und Problemen weltweit, in der Regel aus globalisierungskritischer und kapitalismuskritischer Sicht gedreht, die zur Diskussion des Publikums gestellt werden. Natürlich bleiben bei der Vielfalt an Problem- und Interessenlagen, die es auf diesem Planeten gibt, auch Kontroversen nicht aus, die jedoch zumeist zivil mit Rede und Gegenrede, Argumenten und leidenschaftlichen Plädoyers ausgetragen werden. Seit acht Jahren gibt es jedoch ein Thema, das offenbar keinen zivilen Diskurs mehr erträgt.

Für den 18. August hatte der Veranstalter einen Film ("Ukraine on Fire") zu ebendiesem Thema, der Ukraine, angekündigt, und da dessen Autor Oliver Stone von den Narrativen abweicht, die sich im Westen über den Kiewer Maidan des Winters 2013/14 eingebürgert haben, war von vornherein klar, dass es Kontroversen geben wird. Nicht aber, dass sie so sehr ausarten, wie sie an diesem Donnerstag ausgeartet sind.

Antikommunistin im linken Gewand

Ebenfalls in Leipzig residiert eine Politikerin, die als Mitglied der Partei Die Linke Karriere macht. Nicht ohne Erfolg: Zweimal wurde sie schon in den sächsischen Landtag gewählt. Die Politikerin heißt Juliane Nagel, ist in ihren Mittvierzigern und studierte von 1997 bis zu ihrem Einzug in den Landtag 2014 Politikwissenschaften an der Universität Leipzig, ohne dass sie das Studium jemals abschloss oder sonst einen Berufsabschluss erlangte. Sie verachtet Kommunisten und kommunistische Symbole, rümpft die Nase über Sympathien mit der DDR, hält sich von jeder traditionell linken oder sozialistischen Plattform fern und steht in jeder außenpolitischen Frage stramm und schäumend auf der Linie des westlichen Imperialismus. Man wüsste nicht, womit Nagel bei den Grünen oder in der SPD anecken würde: Dorthin passt sie wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge.

Versuche, mit ihr strittige Themen inhaltlich zu diskutieren, sind zum Scheitern verurteilt: Wohl wissend, dass sie in einer Diskussion über den Zustand der Ukraine nach dem Maidan niemals mit Argumenten oder Faktenkenntnis die Oberhand behalten könnte, würgt sie Gesprächsversuche Andersdenkender brüsk ab: "Mit dir rede ich nicht." Natürlich, denn in einer fairen und offenen Debatte könnte sie niemals rechtfertigen, warum sie ukrainischen Linken und Kommunisten in den Rücken fällt und ukrainischen "Patrioten" denselben stärkt.

Trommler und "Slawa Ukraini" im Wagnerhain

Mitte August geht die Sonne in unseren Räumen etwa halb neun unter, und so war zwischen dem angekündigten und dem tatsächlichen Beginn der Filmvorführung noch etwas Zeit, sich umzusehen. Ort des Geschehens ist der sogenannte "Richard-Wagner-Hain", wohl die ungenaueste Angabe, die man in Leipzig für einen Veranstaltungsort finden kann. Der eigentliche "Richard-Wagner-Hain", ein von den Nationalsozialisten geplantes Denkmal für Adolf Hitlers liebsten Komponisten, war nämlich auf der anderen Seite der an dieser Stelle zu einem breiten Becken aufgestauten Elster. Hitler persönlich legte am 6. März 1934 den Grundstein für das "Richard-Wagner-Nationaldenkmal". Wikipedia meint zu "Richard-Wagner-Hain", dieser befinde sich "beiderseits des Elsterbeckens".

Das "Freiluftkino" selbst ist eine längliche Wiese zwischen dem Elsterflutbecken und der früheren Deutschen Hochschule für Körperkultur (DHfK), heute der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität. Der Ort ist abgelegen und wenig frequentiert, von außen nicht einsehbar. Nicht die beste Wahl für eine Veranstaltung, auf der mit einem Überfall gewaltbereiter Pseudolinker zu rechnen ist.

Während es sich die Zuschauer, etwa 50 an der Zahl, vor der am südlichen Ende der Wiese aufgezogenen Leinwand auf selbst mitgebrachten Decken und Klappstühlen möglichst bequem machen, haben die schätzungsweise 20 Protestierer ihr vorerst an deren Elsterseite den Rücken zugedreht und genießen den Wasserblick. Sie bilden kleine Grüppchen, in dem von der Leinwand am weitesten entfernten ist die Anführerin auszumachen, die schon beschriebene Landtagsabgeordnete Nagel.

Etwas näher zur Leinwand sitzen in Begleitung zweier sichtbar engagierter Anhänger drei junge Ukrainerinnen, ein Reporter des Lokalblattes Leipziger Volkszeitung (LVZ) sitzt gleich daneben. Einer der männlichen Begleiter versucht, einem der Veranstalter, dem in Leipzig bekannten linken Aktivisten Mike Nagler, zu beweisen, dass dieser die Lage in der Ukraine ganz falsch einschätze. Das altbekannte Argument, die altbekannte Leier: Die Rechtsradikalen dort bekämen zehnmal weniger Stimmenanteile bei Wahlen als die AfD in Deutschland. Jemand eilt Nagler zu Hilfe, fragt, über die Liste welcher Partei denn der Asow-Gründer Andrei Bilezki in die Rada gewählt wurde. Der junge Ukrainerinnen-Fan kennt die Antwort nicht, die Ukrainerinnen auch nicht. Als der Fragende auf Ukrainisch die Antwort gibt – es war die Volksfront, die Partei der prowestlichen Arseni Jazeniuk und Alexander Turtschinow –, wittern die fünf einen russischen Agenten.

Irgendwann kommt die Diskussion auf die Frage, wer denn Donezk seit acht Jahren beschießt. Antwort der Ukrainerinnen: "Russland natürlich." Sie meinen es ernst, denken wirklich so. Dann tun die drei Damen das, was ukrainische Patrioten immer tun, wenn ihnen die Argumente ausgehen und rohe Gewalt aus irgendwelchen Gründen nicht eingesetzt werden kann: Sie stimmen die ukrainische Nationalhymne an. Diskussion beendet, mit vokaler Gewalt abgewürgt.

Es dämmert, ist mittlerweile dunkel genug für die Filmvorführung. Eine Trommlergruppe, die eben noch auf der anderen Seite des Elsterbeckens übte, entpuppt sich als Geheimwaffe der Störer und steht plötzlich auch auf der Kino-Wiese. Nagler, der Veranstalter, hält ein kurzes Vorwort und erinnert daran, dass der Krieg in der Ukraine nicht erst am 24. Februar des laufenden Jahres begonnen hat. Er sagt, dass man bewusst einen älteren Film ("Ukraine on Fire" datiert von 2016) gewählt hat, dass man um die Kontroverse weiß und nach der Vorführung alles offen diskutieren möchte. Der Film läuft an, das Trommeln im Hintergrund wird lauter, man versteht nur Fetzen der gebrüllten Parolen: Irgendwas mit Putin und Propaganda. Später werden auch "Slawa Ukraini"-Rufe der Hitler-Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg zu hören sein.

Bis auf einen Zuschauer, der vergeblich versucht, die Trommler zur Ordnung zu rufen, lassen die 50 Männer und Frauen unterschiedlichen Alters, die den Film sehen wollen, die Störer demonstrativ unbeachtet. Der Film läuft im englischen Original, mit deutschen Untertiteln. Das Trommeln und das Gebrülle sind nervig, dem Verständnis des Inhalts tut es keinen Abbruch.

Die gelungene Provokation

Nagel hat sich mit ihren Begleitern inzwischen auch näher an die Leinwand begeben, wendet sich mal diesem, mal jenem der Störer zu, sagt ihnen irgendetwas. Auf einmal stürmen die drei Ukrainerinnen nach vorn, direkt vor die Leinwand. Eine reißt ein Plakat ("Keine Waffen an die Ukraine") von der Konstruktion, auf der die Leinwand aufgezogen ist, und macht sich an der Leinwand selbst zu schaffen. Nagler greift zum Mikrofon und versucht, irgendetwas zu sagen. Die beiden anderen Ukrainerinnen stürmen auf ihn und die auf einem Tisch aufgestellte Technik zu und versuchen, Nagler das Mikrophon aus den Händen zu reißen. Nagler spricht von faschistischen Methoden, davon, dass Faschisten früher auch auf diese Weise linke Veranstaltungen gesprengt hätten, nennt eine der Damen "ukrainische Nationalistin", diese widerspricht empört. "Was bist du denn sonst?", fragt der Veranstalter und bekommt keine Antwort. Stattdessen stürmen nun schon drei auf ihn zu und zerren am Mikrofon, einer aus der Pro-Ukraine-Gruppe schlägt mit der Faust nach Nagler. Es formiert sich ein Gerangel um das Mikro, im Ergebnis liegen zwei Personen ab Boden.

Die Trommlerinnen sind mittlerweile auch vor der Leinwand, brüllen Nagler an, beleidigen ihn als "Arschloch" und "Schwein". Der Vorwurf: Er habe keine Ukrainer eingeladen. Nagler ins Mikro: "Hier sind alle eingeladen." Eine der Trommlerinnen, relativ beleibt: "Aber nicht aufs Podium, du Arschloch." Nagler: "Welches Podium?"

In der Tat, auf der Wiese steht keines.

Eine Person löst sich aus einem Grüppchen um Nagel, stürmt ebenfalls vor und flüstert den am Boden Liegenden irgendwas zu. Das Ziel ist offenbar erreicht, die Provokation gelungen. Die Szene beruhigt sich allmählich, einige der Zuschauer haben bereits den Polizeinotruf gewählt. Einer der Begleiter der Ukrainerinnen spricht mit der Landtagsabgeordneten und berichtet dann den an einem Auslagentisch stehenden Mitorganisatoren der Vorführung triumphierend: "Jule wird der Polizei aussagen, dass Nagler das Mädchen geschlagen hat."

Wenn das stimmt, hat sich die linke Abgeordnete soeben zu einer Falschaussage verschworen.

Überraschen würde es nicht: Das sind die Methoden des Flügels der Linkspartei, dem Nagel angehört. In Kenntnis der eigenen argumentativen Schwäche und politischen Impotenz zielen sie darauf ab, es gar nicht erst zuzulassen, dass ein Opponent zu Wort kommt. Dafür ist jedes Mittel recht: Verbote, Repression, verbale und körperliche Gewalt, Störung von Veranstaltungen. Und falls der Andersdenkende sich doch Gehör verschaffen konnte, wird versucht seinen Beitrag nicht mit Gegenargumenten und Fakten zu entkräften, sondern mit Delegitimierung des Opponenten selbst – durch Diffamierung, Verleumdung, üble Nachrede, Zersetzung. Falschanzeigen passen da ganz gut ins Bild.

Wohl unter dem Eindruck der angekündigten Polizei stimmen die Störer nach Beratung mit Nagel der Fortsetzung der Filmvorführung zu, "diskutiert werden" solle danach. Der Film läuft wieder an, nach kurzer Pause auch das Trommeln und Gebrüll.

Gut 20 Minuten später trifft die Polizei mit mehreren Besatzungen ein. Dank ihr und des gegen Filmende einsetzenden Starkregens endet der Abend ohne Blutvergießen. Auch die Trommeln verstummen: Die Trommlerinnen haben nun zu tun, sich der Personalienfeststellung zu entziehen.

(K)ein Nachspiel?

Erwähnenswert ist noch, wie die örtliche Presse am Tag danach über den Vorfall berichtet. Die LVZ, der örtliche Platzhirsch, hält es nicht für nötig, die Anwesenheit und die Rolle der Landtagsabgeordneten auch nur zu erwähnen. Das rot-grüne Online-Parteiblättchen LIZ des Politaktivisten "Michael Freitag" stellt sich wie zu erwarten einseitig auf die Seite der ukrainischen Nationalistinnen, erwähnt aber immerhin die Anwesenheit Nagels. Die Schuld an der Eskalation sieht "Freitag" – wenig überraschend – allein bei dem Angegriffenen.

Dabei ist der eigentliche Skandal des Abends der, dass eine Landtagsabgeordnete der Linken eine linke Veranstaltung aufmischen will (zum Zuschauen war sie dort mit Sicherheit nicht), dass sie Provokationen inszeniert, sich möglicherweise zu Falschaussagen bereit erklärt. Und dass sie keinerlei Konsequenz zu fürchten hat: vor allem nicht politisch.

Denn die Parteimitglieder der Linken hinterfragen das Personal, das sie den Wählern und Nichtwählern zumuten, längst nicht mehr. Unter dem Motto "Lasst nur die Jugend machen" heben sie bei zu Kaffeekränzchen verkommenen Parteiversammlungen brav ihre Hände zu jeder Personalie, die ihnen vorgesetzt wird.

In einer gesunden sozialistischen Partei hätte jemand, der versucht, eine Filmvorführung von Globalisierungskritikern "aufzumischen" oder den Auftritt eines politisch verfolgten Kommunisten zu verhindern, keine Chance auf weitere Karriere. Er hätte sich mit diesem Akt sowohl als Antidemokrat als auch als Antikommunist enttarnt und damit endgültig für jedes Amt und jede Funktion disqualifiziert. Nagel schadete der parteiinterne Antrag, den Auftritt eines ukrainischen Kommunisten und politischen Flüchtlings in Leipzig zu verbieten, 2016 nicht. Und auch ihr Wirken am Donnerstag wird folgenlos bleiben. Es ist nun am Wähler, sich zu fragen, ob er diese Art von "Linken" überhaupt noch wählen kann. Zumal "Jule" Nagel bei Weitem nicht die einzige zu jeder Missetat bereite Antikommunistin und Provokateurin in der Ex-SED ist.

Den Film von Stone kann man sich unter anderem auf Vimeo ansehen. Auf Rumble ist er als kostenfreier Stream verfügbar.

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