Meinung

(Un)mögliche Mission für Serbien: Eigenständigkeit, der EU-Weg und die Freundschaft zu Russland

Die Europäische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika suchen beharrlich dort Schuldige, wo es keine gibt. Wie sonst könnte der Druck erklärt werden, dem Belgrad jüngst ausgesetzt ist? Fordert die EU ernsthaft, dass sich Serbien von Russland distanziert und Sanktionen gegen Moskau verhängt? Der Anlass dafür sei das kürzlich unterzeichnete Abkommen Serbiens mit der Russischen Föderation.
(Un)mögliche Mission für Serbien: Eigenständigkeit, der EU-Weg und die Freundschaft zu RusslandQuelle: www.globallookpress.com © MFA Russia

Von Marinko Učur, Belgrad

Die Außenminister Serbiens und Russlands, Nikola Selaković und Sergei Lawrow, haben nämlich am Rande der kürzlich abgehaltenen UNO-Generalversammlung den Plan für Konsultationen der Außenministerien ihrer Länder für die nächsten zwei Jahre unterzeichnet. Und das war ein Weckruf für die Administration in Washington, D.C. und die EU-Verwaltung in Brüssel, weil es beiden nicht recht ist, dass Serbien das einzige europäische Land ist, das seine traditionellen Freunde nicht im Stich lassen will. Wie kann ein Land nur gleichzeitig eine unabhängige Außenpolitik führen, den "europäischen Weg" beschreiten und Forderungen nach antirussischen Sanktionen ignorieren wollen?

Die Antwort auf diese Frage kennt am besten die derzeitige Regierung in Belgrad, an deren Spitze der Staatspräsident Aleksandar Vučić steht, der täglich unangenehmen Fragen von jenen ausgesetzt ist, die souveränen Staaten Lektionen erteilen möchten. Es vergeht kaum kein Tag ohne Warnungen aus einigen europäischen Hauptstädten oder von voreingenommenen Mitgliedern des Europäischen Parlaments, die apokalyptisch verkünden, dass "die Tage der serbischen Neutralität gezählt sind und dass es sich nicht länger zwischen zwei Stühlen setzen kann". Niemand will hören, was die Regierung Serbiens ständig wiederholt – und zwar, dass es die territoriale Integrität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine respektiere. Doch die orchestrierte Kampagne wird jeden Tag lauter und hallt sehr stark in den Ohren der einfachen Bürger Serbiens wider, die mit überwältigender Mehrheit Anhänger der derzeitigen serbischen Politik gegenüber der Russischen Föderation sind. Mit anderen Worten: Vučić hat eine uneingeschränkte Unterstützung in seinen Bemühungen, das Land unabhängig von äußerem Druck und jenen Ländern zu führen, die das ehemalige Jugoslawien 1999 ohne Legitimation und Zustimmung der Vereinten Nationen bombardierten und verwüsteten.

Was die Unterstützung des EU-Beitritts Serbiens durch die Bevölkerung betrifft, so fällt auf, dass sie reziprok zum Verhältnis des Druckes aus Brüssel und Washington im Sinne der Doppelmoral der sogenannten "internationalen Gemeinschaft" sinkt. Es ist nämlich völlig unvorstellbar, dass die gleichen Länder, die Belgrad bombardiert haben, Serbien jetzt auch noch auffordern dürften, einen Teil seines besetzten Territoriums im Kosovo aufzugeben. Und zeitgleich wird Serbien aufgefordert, seinen traditionellen Freunden Russland und China den Rücken zu kehren, insbesondere Russland, das im UN-Sicherheitsrat die durch die UN-Resolution 1244 garantierte territoriale Integrität Serbiens verteidigt. Vertreter in Belgrad sehen darin Heuchelei und "Doppelmoral", die nicht im Einklang mit dem Völkerrecht und der UN-Charta steht. Deshalb hat sich der serbische Präsident Aleksandar Vučić, wie es scheint, wie nie zuvor darauf vorbereitet, den europäischen Bürokraten eine Lektion zu erteilen, was zugleich bedeuten könnte, dass endgültig die Zeit gekommen ist, "die Karten auf den Tisch zu legen".

Der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, war der Moment, als der EU-Sprecher Peter Stano die Regierung in Belgrad öffentlich kritisiert hatte, weil sie "Konsultationen mit dem Außenministerium eines Landes akzeptiert, das eine verbrecherische Aggression begeht, und dies ist ein sehr deutliches Zeichen dafür, dass Serbien ihre Bindungen stärken und die Beziehungen zwischen Serbien und Russland weiter vorantreiben will. Die Europäische Union war sich über ihre Partnerstaaten und insbesondere über diejenigen, die über einen Beitritt zur Union verhandeln, darunter auch Serbien, im Klaren".

Belgrad erkannte dies als eine Art Drohung und bereitet eine Antwort vor, mit der man "kein Blatt vor den Mund nehmen" werde. Serbien zu bedrohen, wie es dieser europäische Bürokrat wegen des harmlosen technischen Plans aus dem Meeting zwischen den zuständigen serbischen und russischen Ministerien getan hat, kann nicht "unbeantwortet" bleiben, so Vertreter Belgrads. Dies umso mehr, als in diesem Dokument keinerlei sicherheitsrelevante Punkte enthalten sind. Selbst wenn es sie gäbe, könnte Serbien als souveräner Staat solche mit jedem fremden Land rechtmäßig unterzeichnen. Der serbische Außenminister und Unterzeichner des Dokuments Nikola Selaković ist überrascht, dass das Abkommen ausgerechnet von jenen kritisiert wird, die es überhaupt nicht gesehen haben, und er betont, dass "der Plan zukünftige Schritte in Bezug auf Konsultationen in der UNO zum Kosovo enthält, sowie Fragen zu bilateralen Beziehungen und multilateralen Aktivitäten, und darin gibt es keine Sicherheitspolitik".

Aber Vertreter Belgrads sind bereits an ständige Bemerkungen über die Beziehungen zu Moskau gewöhnt, und es scheint, dass Serbien mit dem Druck vorerst erfolgreich fertig wird. Und einige prowestliche Medien befürworten erwartungsgemäß nicht das serbisch-russische Arrangement, weil sie darin "eine Gefahr für die europäischen Bestrebungen Serbiens" sehen.

Serbiens diplomatisches Abkommen mit Russland ist im serbischsprachigen Programm des amerikanischen "Radio Free Europe" ein neuer "Dorn im Auge" des Westens.
"Es war nicht an der Zeit, ein Abkommen mit Russland zu unterzeichnen", berichtet der dem amerikanischen CNN nahestehende Belgrader Kabelfernsehsender N1 und zitiert seine Gesprächspartner, die einen neuen, noch stärkeren Druck auf Serbien ankündigen.
Der ehemaliger Diplomat Nikola Lopandić betont, dass "der Inhalt des Abkommens unbedeutend ist, aber das Problem ist, dass es in jenem Augenblick unterzeichnet wurde, als Russland seine Aggression gegen die Ukraine durch die Mobilisierung zusätzlicher Truppen eskalierte".

Auf der anderen Seite stellt Slobodan Zečević vom Institut für Europäische Studien in einer Erklärung für den genannten Fernsehsender interessanterweise fest, "dass es im nächsten Monat einen sehr starken Druck auf Serbien geben wird, Sanktionen gegen Russland zu verhängen". Er weist jedoch auf ein offenes Problem in den Beziehungen Serbiens zur Welt hin. Er sagt, dass "niemand im Volk verrückt genug ist, nicht zu sehen, worum es geht – dass in den letzten 20 Jahren jedes serbische Nationalinteresse mit Füßen getreten wurde und dass der Westen nirgendwo für Serbien eingetreten ist. Daher ist diese Haltung Serbiens nicht verwunderlich, das rational weiß, dass es in die EU gehört, aber wenn es die Folgen seiner nationalen Interessen sieht, wendet es sich an Russland als den besten Hüter seiner Interessen", sagt Zečević.
Nüchterne Analysten in Belgrad, wie ein ehemaliger serbischer Botschafter in Deutschland, Ognjen Pribićević, erwarten trotz allem kein radikales und strafendes Vorgehen der EU-Behörden in Brüssel gegenüber Serbien im Sinne eines möglichen Abbruchs der Beitrittsgespräche: "Serbien ist zu wichtig, als es in die entgegengesetzte Richtung zu schieben. Es gibt noch erheblichen diplomatischen Spielraum, um für uns die günstigste Position zu erkämpfen, und – was noch wichtiger als unsere Einigung mit der EU ist – so denke und hoffe ich, dass es für eine diplomatische Einigung zwischen Russland und dem Westen in Bezug auf die Ukraine einen Weg gibt", sagt Pribićević kategorisch.

"Wenn wir auch leere Papiere unterschrieben hätten, wäre die Reaktion dieselbe gewesen ", sagt Professor Stefan Surlić von der Fakultät für Politikwissenschaften und fügt hinzu, dass Serbien durch dieses Abkommen nichts Besonderes gewonnen habe, aber dass die darauf folgenden Reaktionen wesentlich ernster als gedacht seien. Es ist offensichtlich, dass der Westen Serbien immer noch als seinen Hinterhof betrachtet, ihm jedoch immer noch ein Vorraum mit ungewisser Vorfreude vorbehalten ist. Serbiens neutrale Haltung ist für den Westen nicht akzeptabel, und eine umfassende Zusammenarbeit mit Russland und ein günstiges Gasabkommen mit diesem Land sind ein Trumpf in den Händen Belgrads. Ob Präsident Vučić beim zuvor erwähnten und angekündigten "Showdown" mit Brüssel überzeugend genug sein wird, werden wir an diesem Donnerstag erfahren, wenn seine Ansprache an die Nation ansteht.

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