Meinung

Ex-Bundestagspräsident Schäuble: "Nicht zu sehr jammern!"

Die Bild schreibt von "Kriegszeiten" und holt sich als erfahrenen Krisenberater CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble (80) zum Interview. Der fordert von den Deutschen, weniger zu jammern, und erwartet etwas mehr Selbstdisziplin. Schäuble weiß: "Immer nur Spaß haben – das ist keine Lebenserfüllung."
Ex-Bundestagspräsident Schäuble: "Nicht zu sehr jammern!"Quelle: Gettyimages.ru © picture alliance / Kontributor

Von Bernhard Loyen

Es war zu befürchten, daher nicht überraschend. In der Wahrnehmung gut dotierter Politiker, aktiv wie im Ruhestand, liegen die aktuellen Probleme von Abermillionen in diesem Land in einem schwachen Charakter, mangelnder Selbstdisziplin und ausuferndem Egoismus. Die Bild-Zeitung bezeichnet die Ergebnisse eines Interviews mit dem ehemaligen Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble als "drastischen Appell an die Deutschen, in diesen Kriegszeiten die Zähne zusammenzubeißen!".

Besorgte und betroffene Bürger einer aktuell verfehlten und destruktiven Außen- und Energiepolitik der Ampel-Koalition könnten die Anregungen und Aufforderungen von Schäuble auch als anmaßend und realitätsfern empfinden. So heißt es einleitend in dem Bild-Artikel:

"Im BILD-Talk 'Die richtigen Fragen' blickt der ehemalige Bundestagspräsident sorgenvoll in die nahe Zukunft und fordert die Deutschen im Interview dazu auf, Kerzen, Streichhölzer und auch eine Taschenlampe vorrätig zu haben."

Schäuble erkennt aktuell für sich die Gefahr, dass die Menschen im Land den Staat in rein egoistischem Interesse zu sehr belasten. Schäuble wörtlich im Interview:

"Die Gefahr, die ich sehe, ist, dass wir glauben, der Staat sei etwas, der seinen Bürgern bloß immer mehr liefern müsse. So eine Art Supermarkt, wo die Bürger Schnäppchenjäger sind. Nein! Wenn wir den Menschen suggerieren, dass alles unbegrenzt ist, betreiben wir Raubbau. Dann entsteht bei den Menschen der Eindruck: Der Staat kann alles. Das ist nicht nachhaltig!"

Nachhaltig ist bei Betrachtung des Bild-Interviews lediglich die Unverschämtheit der Politik und eines konsequenten Springer-Verlags, real existierende Randerscheinungen der Gesellschaft in reiner Willkür auf ein vermeintlich repräsentatives Gesamtniveau zu heben. Schäuble erklärt gegenüber der Bild-Redaktion, dass "wir Deutsche eine verwöhnte Gesellschaft sind". Der reflektierte und kritische Bürger weiß nun, spricht ein Politiker von "Wir", wird es argumentativ meist lächerlich oder unglaubwürdig. Schäuble kündigt den Bild-Lesern an:

"Wir (sic!) müssen jetzt aber der Gefahr widerstehen, dass es immer so weitergeht. Die Deutschen werden sich wieder mehr anstrengen müssen!"

Wir? Er nicht, Berufspolitiker auch nicht. Die Verantwortlichen für diese massive Staatskrise ebenfalls nicht. Verantwortlich für die Zerstörung von Biografien, für Perspektivlosigkeit von Jung wie Alt, Altersarmut und schlicht krank machende Politik. "In diesem Winter werden viele Deutsche frieren müssen", versucht sich die Bild-Redaktion unglaubwürdig empathisch. Schäuble mit nicht nachvollziehbarer Härte, Gefühlskälte und den Erfahrungswerten der Kriegsgeneration anno 1945:

"Dann zieht man halt einen Pullover an. Oder vielleicht noch einen zweiten Pullover. Darüber muss man nicht jammern, sondern man muss erkennen: Vieles ist nicht selbstverständlich."

Vieles ist nicht selbstverständlich (?). Nachweislich ist für einen Großteil der Politiker und Erfüllungsgehilfen zumindest nicht die Anerkennung der bisherigen Lebensleistung sehr vieler Bürger im Land selbstverständlich. Was sollen solche Sätze und Aussagen darstellen? Knallharte Durchhalteparolen im heroischen Endkampf um die Verteidigung der europäischen Demokratie? Deutsche, wollt ihr den totalen Energiekrieg? Dann legt euch mehr Pullover zu! Die Bild, beeindruckt von der Ansage, hakt nach und fragt zaghaft: "Strom ist nicht mehr selbstverständlich?" Schäuble etwas moderater im versöhnlichen Erklärstil des kriegserfahrenen Opas:

"Er kann auch mal ausfallen. Deshalb sollte man tatsächlich immer auch ein paar Kerzen, Streichhölzer und auch eine Taschenlampe zu Hause haben."

Er meint das genau so, wie er es sagt. Belehrend, gut gemeint, ehrlich und doch entlarvend. Weltfremd und daher natürlich ein Schlag ins Gesicht eines jeden besorgten Bürgers im Land, jeder Familie mit Kindern, jedem Alleinerziehenden, jeder Jugend-WG ohne Perspektiven, jedem alleinstehenden Rentner. Schlicht in jedes Gesicht verzweifelter Menschen in Deutschland im Jahre 2022.

Bild-menschelnd wird auf RTL-2-Niveau schnell für gute Stimmung gesorgt. Ob Schäuble denn noch lachen könnte, "in diesen so ernsten Zeiten"? Gott sei Dank, er kann:

"Ja klar, lachen befreit und entspannt. Wir haben keinen Grund zu resignieren."

Danke, Herr Schäuble, danke für NICHTS. Auch nicht für die Aufforderung, nicht zu resignieren. Auf das Interview bin ich gestoßen durch die Überschrift eines ZDF-Artikels, der lautet: "Tipps zur Energiekrise – Schäuble: Zwei Pullover und Kerzen". Die einzige kritische Anmerkung in diesem Artikel zu den Anmaßungen Schäubles lautet, dass aktuell eine "Debatte über Spartipps von Politikern" existieren würde. Das war's. Der Berliner Tagesspiegel ließ jüngst unkommentiert den 74-jährigen Erklär-Opa Kretschmann (Grüne) mitteilen:

"Viele werden weniger Geld und weniger Wohlstand haben. Und diese Verluste werden deutlich und schmerzhaft sein – und womöglich über Jahre andauern."

Er sagte diesmal mehr als entlarvend "Viele", nicht "Wir". Ja, auch erinnert sei an die anmaßende Empfehlung der Ex-Kanzlerin Angela Merkel an frierende Schüler und Schülerinnen des Jahres 2020. Da war aber ein Virus schuld an der Gefühlskälte, nicht die destruktive und zerstörende Entschuldigung Kriegsgeilheit von Politikern:

"Vielleicht macht man auch mal eine kleine Kniebeuge oder klatscht in die Hände. Nur wenn einem kalt ist, hilft es ja manchmal."

Politik und etablierte Medien schwören aktuell in bekannter und gefürchteter Einheit die Menschen auf kommende Einschränkungen, Verluste und epochale Lebenseinschnitte ein. Die Wahlergebnisse in Niedersachsen bestätigen, bei noch zu vielen Bürgern obliegt weiterhin der Glaube und auch die Bequemlichkeit der Staat und die Politik werden es irgendwie schon richten. Bürger, hört die Signale! Der nachdrückliche Tagesappell für heute kann daher nur lauten: Aufwachen und aktiv werden! Bewegung, mental wie auch physisch, erwärmt und stärkt nachweislich das körperliche und politische Immunsystem. 

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