Meinung

Baerbock und Bismarck: Aus der Geschichte nichts gelernt

Annalena Baerbock, grüne Außenministerin Deutschlands, hat das Bismarck-Zimmer umbenannt. Es heißt jetzt "Saal der deutschen Einheit". Verlogener und geschichtsvergessener geht es kaum.
Baerbock und Bismarck: Aus der Geschichte nichts gelerntQuelle: www.globallookpress.com © IMAGO/Thomas Koehler

Von Tom J. Wellbrock

Das Auswärtige Amt geht auf Otto von Bismarck zurück, der 1871 der erste Reichskanzler Deutschlands wurde. Er war es auch, der die Grundlagen des heutigen Sozialsystems schuf. Dank der Politik der Grünen wird genau dieses Sozialsystem nach und nach demontiert – so wie auch das Bild von Bismarck, das im Bismarck-Zimmer hing.

Dass Geschichte nicht Baerbocks Stärke ist, hat sie bereits mehrfach bewiesen. Bei der Erstellung ihres Lebenslaufes gab es doch die ein oder andere Erinnerungslücke bzw. verklärende Rückschau auf das, was die Frau, die "aus'm Völkerrecht" kommt, so niederschrieb und veröffentlichte. Da kann es nicht überraschen, wenn sie mit noch längeren Zeiträumen Schwierigkeiten hat. Und dass die grüne Außenministerin ohnehin ihre eigenen Interpretationen für historische Ereignisse hat, ist ebenfalls nichts Neues.

Von "Winterhilfe" und Großvätern

Wir gehen gedanklich kurz zurück, nur ein kleines Stück, um niemanden zu überfordern: Annalena Baerbock fühlt sich am wohlsten auf den Schultern von Joschka Fischer und Madeleine Albright. Noch wichtiger sind jedoch die Schultern ihres Großvaters, dem sie mal eben "in die Schuhe" schob, für die Einigung Europas gekämpft zu haben. Eine sehr eigenwillige Interpretation eines Soldaten, der mit den Nazis gegen die Rote Armee kämpfte.

Dass ein grüner Generalkonsul ukrainische Nazis ehrte, veranlasste Baerbock nicht zu einem Kommentar, das Schweigen schien ihr in dieser Situation besser zu gefallen. Und ein Blick in die Wikipedia hätte gereicht, um zu wissen, dass die von der Außenministerin ausgerufene "Winterhilfe" für die Ukraine ein Begriffsplagiat darstellt, das die Nationalsozialisten erfunden haben.

Bismarck, die Demokratie, der Kolonialismus und die Frauen

Aber vergessen wir all das einmal kurz und widmen uns wieder Baerbock und Bismarck. Die Umbenennung des Zimmers geht auf ein Votum des Auswärtigen Amtes zurück. Mitarbeiter hatten sich dafür ausgesprochen, weil Bismarck kein Demokrat, ein Fan des Kolonialismus und kein Freund der Frauen gewesen sei.

Man muss sich so viel Ahnungslosigkeit auf der Zunge zergehen lassen. Denn Bismarck einzuordnen, funktioniert nur, wenn man die Umstände der Zeit mit einbezieht. Es ist unmöglich – und offen gestanden ziemlich dumm – heutige Maßstäbe anzulegen. Aber genau das ist ganz offensichtlich geschehen. Und es stimmt nicht einmal.

Dem Kolonialismus fühlte sich Bismarck nämlich nicht zugewandt, er wehrte sich lange dagegen, bis der Druck von außen zu groß wurde. Die Rolle der Frau zu Bismarcks Zeit ist (natürlich!) nicht mit der heutzutage zu vergleichen. Und wer sich im Jahr 2022 so alles "Demokrat" schimpft, lässt erhebliche Zweifel daran aufkommen, was genau eigentlich Demokratie sein soll. Von der modernen Form des deutschen Kolonialismus wollen wir gar nicht erst reden.  

Es ist die Arroganz verwöhnter Grüner, die zu einem Vorgang wie diesem führt. Statt sich mit einer historischen Figur auseinanderzusetzen und sie entsprechend der geschichtlichen Fakten einzuordnen, werden die Maßstäbe des Jahres 2022 angesetzt. Das verschlägt einem wirklich die Sprache.

Familie Bismarck äußert sich

Alexander von Bismarck fand klare Worte an die Adresse von Baerbock. "Kein Geschichtsbewusstsein" wirft er ihr vor, als eine "moralisierende Außenministerin" habe sie "ihr Amt verfehlt". Und vielleicht der entscheidende Satz: "Jede Persönlichkeit der Vergangenheit" müsse in ihrer "jeweiligen Situation betrachtet und bewertet werden".

Das ist eindeutig nicht (mehr) möglich. Es sind die woken, grün angemalten Moralvorstellungen, die entscheiden, wie die Geschichte eingeordnet werden muss – losgelöst von auch nur einem Hauch von Geschichtsbewusstsein.

So wird Geschichte ausgelöscht, neu geschrieben und in eine Form gebracht, die denen passt, denen sie nichts bedeutet. Wir erinnern uns an den ukrainischen Botschafter in Deutschland, der beim Einsteigen in ein Auto auf die Frage eines Journalisten, wer denn Deutschland von den Nazis befreit habe, kurz und knapp mit "die Ukraine" antwortete. Wir denken an die unzähligen Talkshows im deutschen Fernsehen, in denen Rüstungslobbyisten wie Strack-Zimmermann behaupten können, der Krieg gegen die Ost-Ukraine werde seit 2014 von Russland, nicht von der West-Ukraine geführt.

Der Umbenennung des Bismarck-Zimmers zeigt einmal mehr, dass Geschichte nichts mehr ist, das uns lernen lässt, wie die Menschen in vergangenen Zeiten lebten, welche Ereignisse von historischer Bedeutung sind und wie wir die dunkelsten Zeiten der Geschichte künftig verhindern können. In der grünen Denke ist Geschichte etwas, das geradegerückt, angepasst, korrigiert und neu bewertet werden muss. Und zwar so lange, bis alles so aussieht, wie man es sich vorstellt.

Einziger Trost: Annalena Baerbock wird der Weg in die Geschichtsbücher nicht gelingen, jedenfalls nicht aufgrund ihrer besonderen Leistungen. Wenn überhaupt, dann weil sie dem von Bismarck eingeführten Auswärtigen Amt eine neue Funktion zugeteilt hat: Anti-Diplomatie.

Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Moderator und Mitherausgeber des Blogs "neulandrebellen".

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