Meinung

Anklage in Miami: Die Justiz, Donald Trump und die endlosen Kriege

Nun wurde aus der Hausdurchsuchung bei Donald Trump vor einem Jahr tatsächlich eine Anklage, die ihm in Miami verlesen wurde. Es sieht so aus, als solle er mit aller Macht an einer Kandidatur gehindert werden. Welche Werte müssen noch einmal unbedingt in der Ukraine verteidigt werden?
Anklage in Miami: Die Justiz, Donald Trump und die endlosen KriegeQuelle: www.globallookpress.com © Magdalena Tröndle

Von Dagmar Henn

Wenn man ein Lehrbuchbeispiel sucht, was der Begriff "Desinformation" wirklich bedeutet, dann ist die Berichterstattung der Tagesschau über den Prozess gegen Donald Trump bestens dafür geeignet. Wie dieser Satz beispielsweise:

"Außerhalb des Gerichts sprach er ohne Beweise wieder von politischer Verfolgung."

Würde dieser Satz nicht die zwei Worte "ohne Beweise" enthalten, wäre er korrekte Information.

Diese beiden Worte ändern alles. Denn auch wenn sie wörtlich nur feststellen, dass er in seiner Rede keine Beweise vorlegte – was auch nicht nötig ist, da die verfassungsrechtliche Lage eigentlich eindeutig ist –, impliziert ihr Gebrauch in diesem Zusammenhang, vor allem mit dem Folgesatz: "Bei Anhängern kommt das gut an", dass es keine Beweise gäbe, oder dass er hätte Beweise vorlegen müssen.

Später wird dann die zentrale Aussage zu diesem Thema sogar zitiert: "Er war der Präsident. Er hatte das Recht, Dokumente zu deklassifizieren und mitzunehmen." Nur, dass vorher schon klargestellt wird: Die das sagt, ist Anhängerin von Trump, also nach Tagesschau-Kategorien nicht zurechnungsfähig, und außerdem sagt sie das nicht, sondern sie "schimpft".

Und natürlich kann der Washingtoner Korrespondent es nicht lassen, jemanden einzuschmuggeln, dem er das in den Mund legt, was er für die Wahrheit hält:

"Doch es gibt auch Stimmen wie die eines Passanten abseits des Gerichtsgebäudes in Miami: 'Niemand steht über dem Gesetz. Jeder muss die Konsequenzen seines Handelns tragen.' Damit meinte er: auch Donald Trump."

Wirklich gekonnt. Diese subtile Mischung aus Befriedigung und empörtem Pathos. Was einem bei jeglichem Bericht über die Entwicklung dieses Prozesses einer Pflicht gänzlich enthebt: darzustellen, wie die Seite der Biden-Regierung die Sache sieht. Das bekommt jeder Deutsche täglich drei Zentimeter dick aufs Butterbrot geschmiert.

Gestern wurde Donald Trump also in Miami erkennungsdienstlich behandelt, im Gerichtssaal vorgeführt, die Anklage wurde verlesen und sein Anwalt plädierte auf "nicht schuldig". Diesmal geht es tatsächlich um die Farce, die zur Durchsuchung in Mar-a-Lago geführt hatte. Obwohl zwischenzeitlich in der Garage von Joe Biden klassifizierte Dokumente aus seiner Zeit als Vizepräsident aufgetaucht sind, und die Stellung des Vizepräsidenten eben nicht der des Präsidenten entspricht.

Zur Erinnerung: Nach der US-amerikanischen Verfassung ist der Präsident gewissermaßen ein absolutistischer König auf Zeit. Das heißt, während seiner Amtszeit gibt es keine politische Kraft, die über dem Präsidenten steht. Die Befugnis, Dokumente zu klassifizieren und zu deklassifizieren, gehört noch zu den minderen Rechten einer Person, die nach der US-amerikanischen Nukleardoktrin die alleinige Verfügungsgewalt über ein Arsenal hat, das die Menschheit vernichten könnte.

Das Konstrukt, auf dem die Anklage fußt, beruht auf der Fiktion, der Präsident müsse zur Deklassifizierung ein bestimmtes bürokratisches Verfahren einhalten. Man könnte sagen, Trump hat den Passierschein A38 nicht ordnungsgemäß ausgefüllt, ehe er die Dokumente mit nach Hause nahm. Es gibt allerdings keinerlei Gesetz, in dem dies vorgegeben ist, und alles unterhalb eines Gesetzes kann ein US-Präsident durch formlosen Beschluss erledigen.

Im Grunde lässt sich das auch durch simple Logik klären. Das Recht, die Geheimhaltung aufzuheben, kommt nie alleine, sondern immer zusammen mit seinem Gegenstück, dem Recht, Dokumente zu klassifizieren (der Begriff "klassifizieren" hat sich eingebürgert, weil damit alle Stufen von "Vertraulich" bis "Streng geheim" umfasst sind).

Es ist nicht schwer nachzuvollziehen, dass die Spitze der Exekutive, in den USA also der Präsident, mit diesem Recht ausgestattet sein muss. Und zwar bezogen auf alle denkbaren Arten von Dokumenten, und ohne aufwändige Verfahren, weil Situationen vorstellbar sind, in denen das vom einen Moment auf den anderen geschehen muss. Daraus folgt logischerweise, dass die gleiche Verfügung auch besteht, die Klassifizierung aufzuheben.

Jede Verwaltung benötigt einen Entscheider "letzter Instanz". Insofern ist die Aussage, die der Tagesschau-Korrespondent so begeistert vorträgt, nicht ganz richtig. "Niemand steht über dem Gesetz" ist, wenn man die Position des US-Präsidenten betrachtet, nur insofern zutreffend, als der Präsident in bestimmten Fällen das Gesetz ist; ganz im Sinne des "L'état, c'est moi". (Eine Position, die auch der parlamentarischen Republik nicht völlig fremd ist, wenn man einmal näher betrachtet, was die "Richtlinienkompetenz" eines Bundeskanzlers tatsächlich bedeutet. Merkels Entscheidung zur Grenzöffnung 2015 war beispielsweise ein solcher Moment.)

Und nebenbei bemerkt: Selbst wenn Trump alles das wäre, was seine Gegner ihm vorwerfen, wäre das Gerichtsverfahren, das darauf abzielt, ihn aus dem Rennen um die Präsidentschaft zu ziehen (manche unken gar, in Wirklichkeit, um die Rechte des Präsidenten dauerhaft zu beschneiden und an den Tiefen Staat zu übertragen), ein zutiefst undemokratischer Akt.

Demokratie ist keine moralische Instanz, sondern ein Verfahren zur politischen Willensbildung. Wenn man technisch betrachtet, wie eine Gesellschaft demokratisch sein kann, dann ist die erste Voraussetzung Souveränität, damit überhaupt die Gewalt über das Objekt der Entscheidung gegeben ist. Die zweite ist dann, dass sich politische Positionen und Interessen formieren können; also nicht nur ausgedrückt werden dürfen, sondern auch organisatorisch Gestalt annehmen können, und zwar mit absolut minimalen Einschränkungen. Erst dann, wenn diese beiden Punkte gewährleistet sind, kann man überhaupt darüber nachdenken, ob es sich um eine Demokratie handelt (soviel mit freundlichen Grüßen an all jene, die gerade über ein Verbot der AfD nachdenken).

Und warum das Ganze? Hier kann man nur die dritte Episode von Tucker Carlson auf Twitter empfehlen. Carlson, der, wie er wiederholt sagte, kein Fan von Trump ist, fasste das so zusammen:

"Das war unvermeidlich seit dem 16. Februar 2016, dem Tag, an dem sich Donald Trump die größte und mächtigste Organisation in der menschlichen Geschichte zum Todfeind machte: die Bundesregierung [der USA, versteht sich]."

Und was war sein Vergehen? Diese Aussage in der Debatte der republikanischen Bewerber:

"Wir hätten nie im Irak sein sollen; wir haben den Nahen Osten destabilisiert. Sie haben gelogen, in Ordnung. Sie sagten, da gäbe es Massenvernichtungswaffen – da waren keine, und sie wussten, dass da keine waren. Dort waren keine Massenvernichtungswaffen."

Carlson argumentiert, zu jenem Zeitpunkt hätte man zwar sagen dürfen, dass es keine Massenvernichtungswaffen im Irak gab, aber nicht, dass es sich um eine absichtliche Lüge handelt. Denn der Kern der Washingtoner Politik, das, was wirklich wichtig sei, "ist die Außenpolitik, die Einmärsche und Besetzungen und die Stellvertreterkriege: die Entscheidungen, die bestimmen, welche globalen Bevölkerungen gedeihen und welche sterben werden. Die Entscheidungen, an denen Preisschilder mit Billionen Dollar hängen, diejenigen, die im Zeitverlauf die Bezirke rund um Washington zu den reichsten Vororten der Welt gemacht haben."

Carlsons Empfehlung an die Wähler lautet, schlicht 500 Meilen (ca. 805 km) in irgendeine Richtung zu fahren und nachzusehen, wie die Dinge im Land stehen: Ob sich das höchste Budget der US-Geschichte in Straßen ohne Schlaglöcher umgesetzt hat, und ob sich der statistische Wohlstand an den Menschen entlang dieser Straße erkennen lässt. Wohl wissend, dass der Wähler nichts davon vorfinden wird.

(Es ist übrigens sehr lehrreich, die dramatische, aber offene Stellungnahme von Tucker Carlson mit der verdeckten, impliziten des Washingtoner Tagesschau-Korrespondenten zu vergleichen. Carlson liefert Argumente, leidenschaftlich, aber Argumente. Während Herr Borchard nicht argumentiert, sondern die ganze Geschichte so darstellt, als müsse man selbstverständlich die Position der Biden-Regierung einnehmen, und eine andere Position berichte man nur, weil man auch über Seltsamkeiten berichten müsse.)

Der Beitrag unterscheidet sich von allen vorherigen Beiträgen Tucker Carlsons, weil er ein unmittelbarer politischer Aufruf ist, eine politische Rede. Die, wenn man sich die Zuschauerzahlen ansieht, die Carlson bisher auf Twitter hatte und die diejenigen bei dem Sender Fox weit in den Schatten stellen, tatsächlich historisch werden könnte. Tucker versucht, ein politisches Bündnis zu schmieden, das weit über die Anhängerschaft von Donald Trump hinausreicht:

"Was immer man auch über ihn sagt, Trump ist der eine Kandidat, der tatsächlich eine Chance hat, Präsident zu werden, der der langjährigen Washingtoner Agenda nutzloser Kriege nicht zustimmt. Und wegen dieser einen Tatsache versuchen sie, Trump auszuschalten, ehe man für ihn stimmen kann. Und das sollte euch mehr aufregen als alles, was in eurer Lebenszeit in der amerikanischen Politik passiert ist.

Selbst, wenn ihr nicht vorhabt, für Donald Trump zu stimmen, selbst, wenn ihr lieber sterben würdet, als für Donald Trump zu stimmen – was euer Recht ist, und viele gute Leute sehen das so. Selbst dann ist es die Zerstörung eurer Demokratie, die im Recht der Wähler besteht, jeden Kandidaten zu unterstützen, den sie wollen, selbst Kandidaten, die keinen Krieg mit Russland wollen; die Zerstörung dessen sollte euch nachts wachhalten.

Ja, Donald Trump ist ein Mann mit Fehlern. Aber seine Sünden sind klein verglichen mit denen seiner Verfolger.

In diesem Leben können wir nicht unsere Märtyrer wählen, sondern nur unsere Prinzipien... und Amerikas sind in Gefahr."

Man hört ein leises Echo von Thomas Paine in diesen Sätzen. Und es wird klar, dass dieses innere Ringen in den Vereinigten Staaten das Spiegelbild des globalen ist. Und dass wirkliche Demokratie auch für die Bürger des Westens nur zu haben ist, wenn die Macht fällt, die für die endlosen Kriege gesorgt hat.

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