Meinung

Will die Ukraine Russland "vernichtenden" Schlag versetzen? Ex-CIA-Chef Petraeus zu Besuch in Kiew

Warum zeigt die Politik in der Ukraine trotz Poroschenkos Wahldesaster eine erstaunliche Kontinuität? Wie stellt sich die ukrainische Elite unter Präsident Selenskij zum Donbass-Konflikt? Ein hoher inoffizieller Besuch aus den USA könnte eine Antwort liefern.
Will die Ukraine Russland "vernichtenden" Schlag versetzen? Ex-CIA-Chef Petraeus zu Besuch in Kiew© Screenshot Twitter @GeneralStaffUA

von Wladislaw Sankin 

Der ehemalige Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Haiti, Bosnien, dem Irak und Afghanistan und CIA-Chef unter Präsident Obama David Petraeus ist ein viel beschäftigter Mann. Seit 2013 arbeitet er als Chef des KKR Global Institute für einen der in eigenen Worten "größten und bekanntesten Investmentfonds der Welt, der mit Milliarden von Dollars operiert und Hunderte Unternehmen weltweit verwaltet", KKR & Co. Inc. Seine Arbeitszeit ist kostbar.

Im Juni hat er eine ganze Woche in der Ukraine verbracht. In dem Land, das die "volle Unterstützung" der USA genießt, würde sich ein Mann seines Kalibers nur mit den Einflussreichsten treffen.

Zusammen mit dem ehemaligen US-Botschafter in der Ukraine John Herbst und Direktor des Eurasischen Zentrums des NATO-Thinktanks Atlantic Council John Herbst traf sich Petraeus unter anderem mit:

  • Petro Poroschenko, Großunternehmer und Milliardär, der vom 7. Juni 2014 bis zum 20. Mai 2019 fünfter Präsident der Ukraine war und jetzt mit seiner Partei "Europäische Solidarität" ins Parlament einziehen will;
  • der ukrainischen Politveteranin Julija Timoschenko, ehemalige Premierministerin und langjährige Vorsitzende der Partei "Vaterland";
  • Innenminister Arsen Awakow, der sein Ministeramt seit dem Putsch im Februar 2014 und damit von allen amtierenden Ministern am längsten innehat;
  • dem Sekretär des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung und Ex-Finanzminister Alexander Daniljuk;
  • dem Ex-Wirtschaftsminister Aivaras Abromavičius, der seit Amtsantritt des Präsidenten Selenskij den Posten im Aufsichtsrat des staatlichen Konzerns für Verteidigungsindustrie "Ukroboronprom" bekommen hat;
  • dem Präsidenten der Ukraine von 1994–2004 und jetzigen Unterhändler im Minsker Prozess Leonid Kutschma;
  • dem Befehlshaber der Militäroperation im Donbass-Krieg "Operation der Vereinten Kräfte" (OVK) Alexander Syrski.

Mit Syrski traf sich Petraeus vor Ort – im Kriegsgebiet. Dort ließ er sich, wie er später erzählte, auch von der Kampfbereitschaft der ukrainischen Soldaten beeindrucken.

Die Visite von Petraeus und Herbst wurde auf der Webseite des ukrainischen Innenministeriums als Delegation des "Atlantic Councils" deklariert, die offizielle Einladung erfolgte über einen anderen der NATO nahestehenden Thinktank, das "Aspen Institute Kyiv". Der Besuch wurde weder von der US-Botschaft angekündigt noch medial begleitet. Erst Ende Juni, eine Woche nach der Abreise, erschien ein Interview mit Petraeus in der ukrainischen Zeitschrift Nowoje Wremja ("Neue Zeit"), die zugleich Medienpartner des Atlantic Council ist. Aus diesem Interview wird auch hier zitiert.

Russland: Vitalen US-Interessen im Wege

Petraeus steht Kreisen der sogenannten Neocons nahe, sein Fonds kooperiert mit dem mächtigen US-Oligarchen und Interventionisten George Soros. In den letzten Jahren beschäftigt sich Petraeus zusammen mit John Herbst verstärkt mit Russland und der Ukraine. Die beiden gehören zu den lautstärksten Lobbyisten eines harten antirussischen Kurses, zu deren Forderungen Maßnahmen wie beispielsweise eine "aggressive Bekämpfung der Korruption in Russland" oder Waffenlieferungen an die Ukraine gehören.

Die Politik des Kremls widerspricht vitalen Interessen der USA, denn sie ist darauf gerichtet, die bestehende Weltordnung zu überdenken", fasst Herbst die Gründe für diese Politik in einem Interview mit dem US-Propagandasender Voice of America zusammen.

"Bestehende Weltordnung" oder "globale Stabilität" sind nichts anderes als Euphemismen für US-Hegemonie. Die Ukraine ist für die Verfechter dieser Hegemonie eine Art Keule, mit der man Russland schlagen und damit dessen Bestreben eindämmen kann, die US-Hegemonie in Frage zu stellen. Der Preis für "Putins Abenteurertum" in der Ukraine soll so hoch wie möglich sein, schrieb Petraeus zusammen mit Herbst in einem Artikel für das Wall Street Journal noch im Februar 2016, als die Frage der Waffenlieferungen in den USA erst diskutiert wurde.

Die Nowoje Wremja bringt die wahren Ziele dieser Ukraine-Politik für ihre Leser auf den Punkt, indem sie das Interview mit Petraeus wie folgt betitelt: 

Die Offenbarungen des Generals. Ex-CIA-Chef erklärt im Interview, wie die Ukraine Russland einen vernichtenden Schlag versetzen kann.

Hochpräzise Waffen mit Personal

Im Interview zeigt sich der Viersternegeneral und Ex-Oberbefehlshaber der kämpfenden US-Armee mit dem Spitznamen "König David" mit dem Kampfgeist und der Professionalität des ukrainischen Militärs zufrieden. Er misst der Entwicklung des "Humankapitals" entscheidende Bedeutung zu, schließlich sei dieses nicht so kostspielig:

Hier leisten die USA der Ukraine eine große Hilfe: Einige erfahrene US-Generäle sind an der Reform der ukrainischen Armee und des Ukroboronprom beteiligt.

Die Personalreform ist aus der Sicht des Generals auch deshalb so wichtig, weil die USA daran interessiert sind, der Ukraine auch weiterhin hochtechnologische Waffen zu liefern.

Es sollte ein Antrag auf hochpräzise Raketen, komplexe Systeme für indirektes Feuer, Gegenbatterieradars und russische Raketenabwehrradars gestellt werden. Aber auch hier ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass Waffen effektiv sind, wenn sie in zuverlässigen und gut ausgebildeten Händen sind. Deshalb betone ich weiterhin die Bedeutung der Personalreform", erteilt der US-Gast seinen ukrainischen Gastgebern unverblümt Anweisungen.

Dabei lobte Petraeus die bestehenden und künftigen finanziellen Zuwendungen des US-Kongresses zum Zweck der Waffenlieferungen: Die 200 Millionen Dollar aus dem laufenden Jahr, zusammen mit dem Betrag, der von anderen Verbündeten zur Verfügung gestellt wird, seien eine ernsthafte Größe. Im nächsten Jahr sollen es sogar 250 Millionen Dollar sein.

Obwohl Wladimir Selenskij den Frieden im Donbass zur obersten Priorität erklärt hat, haben sich ausgerechnet nach dem Besuch von Petraeus die Verletzungen der Waffenruhe und Attacken der ukrainischen Streitkräfte gehäuft: Nach Angaben der Ombudsfrau für Menschenrechte der Donezker Volksrepublik Darija Morosowa sind dabei allein in der Woche vom 21. bis zum 28. Juni sechs Militärangehörige der Volksrepublik Donezk ums Leben gekommen, 16 wurden verwundet.

Bei seiner ersten, insgesamt dreitägigen Übersee-Reise nach Kanada hat Selenskij das Abkommen über die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich unterzeichnet. Wie er bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem kanadischen Premierminister Justin Trudeau verkündete, sei eine "prinzipielle Vereinbarung" über die Lieferung von Verteidigungswaffen und modernster Panzertechnik erzielt worden. 

In Kanada traf sich Selenskij mit dem US-Sonderbeuaftragten Kurt Volker. Die Reise nach Kanada diente für ihn der Vorbereitung auf seine künftige US-Reise. US-Präsident Donald Trump traf sich mit seinem Vorgänger Poroschenko in Washington nur wenige Male kurz und reiste nicht nach Kiew. Mit dieser Kälte hat Trump Poroschenko offenbar für seine offene Unterstützung der Demokraten bei der Präsidentschaftswahl 2016 bestraft. Der Trump-Vertraute Rudolph Giuliani sagte im Mai seine geplante Reise in die Ukraine ab und fordert von Selenskij nun öffentlich die Untersuchung der "ukrainischen Einmischung" in die Wahlen:

Der neue Präsident der Ukraine schweigt nach wie vor zur Untersuchung über die Einmischung der Ukraine in die Wahlen 2016", schrieb er zornig auf Twitter.

USA will den ukrainischen "tiefen Staat" umkrempeln  

Im Wirrwarr der Gegensätze und Intrigen, die die US-amerikanischen Eliten seit Trump-Amtsantritt kennzeichnen, ist es schwer zu sagen, inwieweit der Besuch von David Petraeus für oder gegen den neuen ukrainischen Präsidenten gerichtet war. Er traf sich nicht mit Selenskij, dafür aber mit dem von ihm in dieses Amt gehievten Sekretär des Rates für Nationale Sicherheit und Verteidigung Alexander Daniljuk. In der Poroschenko-Regierung war Daniljuk zwei Jahre lang Finanzminister. Er gilt als Mann, der den globalen Finanzeliten nahesteht. 

Auch Innenminister Arsen Awakow traf Petraeus, bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr. Kurz vor der Präsidentschaftswahl reiste Awakow in die USA und sicherte dort den reibungslosen Verlauf der Präsidentschaftswahlen zu. Im Frühjahr 2014 hat Awakow aus Maidan-Kämpfer die Nationalgarde gegründet und hat seitdem großen Einfluss auf die nationalistischen Paramilitärs. In Kiew präsentierte er Petraeus seinen Plan zur "Deokuppierung des Donbass" vor. In den Augen der US-Kuratoren konnte sich Awakow als ausgesprochen nützlich präsentieren und muss auch in der neuen Regierung nicht um sein Amt bangen.

Offenbar hat mit diesem hohen, von einflussreichen Thinktanks eingefädelten Besuch der US-amerikanische dem ukrainischem "tiefen Staat" die Hand gereicht. Neben der Stärkung der neuen transatlantischen Kriegskoalition hat Fondsmanager Petraeus auch ein anderes Ziel verfolgt: die Öffnung der Ukraine für transnationale Finanzunternehmen.

Bislang war der ukrainische sogenannte "tiefe Staat" von Oligarchen geprägt, der Ausverkauf des Landes an ausländische Unternehmen wurde verhindert. Die nationalen Oligarchen sollten deshalb aus der Sicht des einflussreichen US-Investors geschwächt und am besten beseitigt werden. Ein US-Ermittlungsverfahren gegen den Milliardär aus Dnjepropetrowsk Igor Kolomoiski wegen Geldwäsche ist ein Beleg dafür.

Es lohnt sich, die entsprechende Botschaft von Petraeus an die Ukraine aus seinem letzten Interview in voller Länge zu zitieren.

Als Partner eines der weltweit größten Investmentfonds, der sich mit Investitionsmöglichkeiten in der Ukraine beschäftigt, war ich vor etwa drei Jahren hier auf der YES-Konferenz. Ich erinnere mich, dass es große Hoffnung gab, dass die Unternehmen gute Investitionsmöglichkeiten finden würden, insbesondere im Energiesektor, und dass Reformen von hohen Rechtsprinzipien begleitet würden. Es war eine Zeit der Verheißung. Diese Hoffnungen haben sich leider nicht erfüllt, und das ist es, was das ukrainische Volk mit seinen Stimmen bei den Wahlen sagte. 

Es ist also offensichtlich, dass die USA nach wie vor großes Interesse an die Ukraine haben und ihren Einfluss in der Ex-Sowjetrepublik weiter ausbauen. Dabei haben Ziele dieser Politik nichts mit einer friedlichen Lösung auch im europäischen Sinne zu tun, sei es im Rahmen des Minsker Abkommens, des Normandie-Formats oder bilateraler Lösungen. Nach Einschätzung vieler ukrainischen Experten wie Dmitri Dschangirow ist allerdings eine Lösung im Format eines großen Deals mit Russland möglich, sofern Russland wichtige Zugeständnisse aufgezwungen werden können. Unabhängig davon, welche Teile der US-Eliten – ob national oder global ausgerichtete – sich mit ihrem Politikstil am Ende durchsetzen können, spielt die Ukraine wider ihre wahren nationalen Interessen nach wie vor nur die Rolle eines Objekts. 

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