Russland

Nach Stalingrad: So verhielten sich Paulus und seine Generäle in sowjetischer Gefangenschaft

Vor 80 Jahren gingen in Stalingrad Generäle der Wehrmacht in sowjetische Gefangenschaft. Dort wurden sie von ihren sowjetischen Bewachern genau beobachtet. Während die einen mit Niederlage und Gefangenschaft haderten, zogen andere aus dem Erlebten Konsequenzen.
Nach Stalingrad: So verhielten sich Paulus und seine Generäle in sowjetischer Gefangenschaft

Von Timur Schersad

Vor 80 Jahren, am 31. Januar 1943, kapitulierte Feldmarschall Friedrich Paulus mit seinem Stab vor den sowjetischen Streitkräften. Technisch gesehen war die Schlacht um Stalingrad noch nicht zu Ende, doch für den Rest der feindlichen Verbände waren die Tage gezählt.

Im Rahmen der großen Sommeroffensive von 1942 war Stalingrad kein Ziel an sich, sondern ein für die Wehrmacht geeigneter Punkt, dessen Kontrolle die Sicherung der Flanke ermöglichte. Darüber hinaus war es möglich, die Wolga abzuschneiden, die den Sowjets als Transportweg für das im Kaukasus geförderte Erdöl in die zentralen Landesteile diente, während die wichtigsten Streitkräfte der Deutschen gerade hinter diesem Erdöl her waren.

Nichtsdestotrotz hat der Gegner für Stalingrad eine ziemlich große Kampfgruppe aufgestellt. Die 6. Feldarmee der Wehrmacht, die von Paulus befehligt wurde, war eine der zahlenmäßig stärksten. Dank ihrer mächtigen Artilleriefaust war es möglich, selbst die gut befestigten Verteidigungsanlagen zu durchbrechen und vorzurücken. Zudem wurde sie von rumänischen und italienischen Einheiten unterstützt.

Und obwohl Stalingrad überrannt wurde, war Paulus nicht in der Lage, es schnell in Besitz zu nehmen. Noch im November 1942 sah es so aus, als stünde die Stadt vor der endgültigen Niederlage, und die sowjetischen Einheiten waren kurz davor, in die Wolga zu stürzen. Doch während dieser ganzen Zeit war eine Großoffensive der Sowjets in Vorbereitung, wobei die Verlagerung und Ansammlung von Truppen erfolgreich verborgen blieb. Und die am 19. November begonnene Operation "Uranus" führte sehr schnell zur Einkreisung der Paulus-Truppen in und um Stalingrad.

Das war ein Ereignis von strategischer Bedeutung. Aus der deutschen Front auf einmal 300.000 Mann herauszureißen, bedeutete, die gesamte feindliche Gruppierung im Kaukasus in Gefahr zu bringen, die umgehend und in aller Eile abgezogen werden musste. Deshalb war die Kapitulation von Paulus im Januar des Jahres 1943 nicht einfach nur ein Sieg, sondern ein Wendepunkt im Verlauf des Krieges.

Auch die Wände haben Ohren

Gleich am ersten Tag der Kapitulation nahm sich der NKWD den Feldmarschall vor. Die Sache wurde mit einem cleveren Einfall angegangen. Unter dem Deckmantel einer üblichen Wache schickten sie einen Unterleutnant des Staatssicherheitsdienstes, Tarabrin, zu den verhafteten Generälen, die in einem Bauernhaus untergebracht waren. Dieser beherrschte die deutsche und die französische Sprache perfekt, zeigte aber nicht sein wahres Gesicht. So wurde für die Geschichtswissenschaften die Stimmung des Kommandos der 6. Armee am ersten Tag ihrer Kapitulation vor den Russen dokumentiert.

Feldmarschall Friedrich Paulus, der Generalstabschef seiner Armee, Generalleutnant Arthur Schmidt, und Paulus' Adjutant, Oberst Wilhelm Adam, befanden sich in der Holzhütte. Während Paulus sichtlich von der Verantwortung für das Desaster der ihm anvertrauten Armee bedrückt war, konnte sich Schmidt nicht beruhigen und vergiftete die Atmosphäre mit seinen Possen, und Adam murrte meist über Schmidts Verhalten.

Als die Deutschen höflich aufgefordert wurden, alle scharfen Gegenstände abzugeben, war Schmidt außer sich vor Wut. Er lief tiefrot an, fing an laut zu kreischen und forderte eine Sonderbehandlung. Natürlich interessierte sich der gefangene Generalstabschef nicht für Rasierklingen und Messer – er war wütend darüber, dass die gefangenen Generäle "wie Soldaten" behandelt wurden.

Interessanterweise bewirkte das Geschrei etwas: Die Sowjets machten ein paar Anrufe, stimmten etwas mit ihren Vorgesetzten ab und gaben den Gefangenen die Messer und Rasierklingen zurück.

Es wurde Abend, und die Deutschen legten sich bald schlafen. Man gab ihnen gute Betten mit sauberer Bettwäsche, doch Schmidt zeigte wieder einmal seine Andersartigkeit, indem er sein gesamtes Bettzeug ausbreitete und es mit einer Taschenlampe genauestens inspizierte. Anschließend legte er sich zwar ins Bett, schlief aber schlecht und mit Unterbrechungen – der gefangene Stabschef hatte eindeutig Albträume. Mehrmals wachte er auf und verlangte lautstark, man solle aufhören, das Bett zu schütteln. Natürlich blieb es völlig unberührt.

Am nächsten Tag wurde den Gefangenen ein Mittagessen serviert, darunter auch Wodka, den Paulus als "herrlich" bezeichnete. Nicht nur der Wodka fand bei dem Mittagessen lobende Erwähnung – Paulus würdigte die militärischen Künste der Russen und verkündete, dass ihre Aktionen in Stalingrad in die Lehrbücher eingehen würden.

Schmidt hingegen war ungeduldig und nervös. Entweder holte er die Wachen und erklärte ihnen mit Gesten irgendwelche Eigenheiten über die Lage der 6. Armee in der Schlacht von Stalingrad, oder er sorgte sich um eine mögliche Krise der militärischen Führung in Deutschland, um dann düster zu verkünden, dass die Russen nun mindestens bis Mitte März vorrücken würden. Eine ganz große Unruhe löste die Frage aus, ob die Rote Armee "an den ehemaligen Grenzen Halt" mache oder ob sie am Ende nach Berlin marschiere.

Gleichzeitig waren sich alle Gefangenen einig, dass die Behandlung der deutschen Generalität in der Gefangenschaft besser war als die der Deutschen gegenüber den Sowjets. Es war eine positive Neuigkeit für sie. Oberst Adam beschloss, keine Zeit zu verlieren, und begann sofort, Russisch zu lernen.

Eine weise Entscheidung

In der Gefangenschaft folgte Paulus einem spezifischen Ehrenkodex des klassischen deutschen Offiziers. Der NKWD versuchte, ihn zur Zusammenarbeit zu überreden, aber er blieb hartnäckig. Während des Krieges wurde unter den gefangenen Offizieren ein antifaschistisches Bündnis gebildet, dem sich Paulus jedoch kategorisch verweigerte, weil er es für einen Verrat hielt.

Die Situation änderte sich jedoch plötzlich im August 1944, als die Nachrichten über einen versuchten Militärputsch in Deutschland den gefangenen Feldmarschall erreichten, der sich bereits im Lager Susdal befand. Hitler ließ die Verschwörer und einige ihrer Freunde gnadenlos hinrichten. Die Loyalität gegenüber der militärischen Gesellschaft erwies sich für Paulus als sehr wichtig. Er konnte Hitler die gesellschaftlich nahestehenden Offiziere nicht verzeihen. Und aus Rache ließ er sich auf eine Zusammenarbeit mit dem NKWD ein und trat dem antifaschistischen Bündnis bei, wo er sich aktiv an der Agitation beteiligte.

Diese Tätigkeit trug Früchte. Am Nürnberger Prozess nahm der Feldmarschall als Zeuge teil. In der UdSSR hielt man ihn in einem "goldenen Käfig", versorgte ihn mit allem, was man zur Erholung und Freizeitgestaltung benötigte, ließ ihn aber nicht nach Deutschland. Dafür gelang es Paulus, als Berater in dem Film "Die Schlacht von Stalingrad" mitzuwirken, der 1949 in die Kinos kam.

Nicht einmal seine Frau, die 1949 starb, hat er gesehen. Nach dem Tod Stalins durfte Paulus dennoch in die DDR ausreisen. Er lebte dort wohlbehütet, lehrte und forschte für den Rest seines Lebens im Bereich der Militärgeschichte. Am 1. Februar 1957, einen Tag nach dem Jahrestag seiner Festnahme, starb er im Alter von 66 Jahren.

Arthur Schmidt ging einen anderen Weg. Als überzeugter Nazi kollaborierte er bis zuletzt nicht mit der Sowjetunion und blieb seinen faschistischen Überzeugungen bis zum Schluss treu. Die Geschichte der Hinrichtung deutscher Generäle durch Hitler hat ihn nicht in Verlegenheit gebracht. "So musste es halt sein." Dank Adenauer wurde er 1955 freigelassen. Den Stabschef von Paulus quälten offensichtlich keine trüben Gedanken. Er erreichte ein Alter von 92 Jahren und starb lange nach dem Krieg im Jahr 1987 in der BRD.

Adam, der zu Beginn seiner Gefangenschaft daran zweifelte, ob er das Richtige getan hatte, sich zu ergeben, statt sich zu erschießen, ging schließlich zum Militärdienst in der DDR, wo er mit dem Orden "Banner der Arbeit" ausgezeichnet wurde. In Ostdeutschland pflegte der ehemalige Adjutant eine herzliche Freundschaft mit Paulus, als dieser noch lebte. Wilhelm Adam starb 1978 im Alter von 85 Jahren.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen bei Wsgljad.

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