Afrika

Frankreich hat in Afrika kapituliert – vollständig und endgültig

Nach dem Putsch in Niger zieht sich Frankreich nun ganz aus Westafrika zurück. Paris erlebt dabei nicht nur einen spürbaren Prestigeverlust ‒ durch den Wegfall des französischen Einflussbereiches in Afrika kommen auch noch negative Folgen auf die heimische Wirtschaft zu.
Frankreich hat in Afrika kapituliert – vollständig und endgültig© AP Photo/Kilaye Bationo

Von Jelena Karajewa

Die Pariser Außenpolitik musste nicht lange unter dem Druck der Handlungen der neuen nigrischen Behörden leiden: Innerhalb von sechs Wochen vollzog der französische Präsident Emmanuel Macron (denn für Handlungen auf internationaler Ebene ist laut Verfassung der Präsident der Republik persönlich verantwortlich) eine 180-Grad-Wendung gegenüber Niamey.

Die Situation entwickelte sich schnell von "Wir werden die Junta und die Rebellen nicht anerkennen, und unsere Botschaft wird weiterhin ihre Aufgaben wahrnehmen" bis hin zur überstürzten Evakuierung des diplomatischen Personals quasi mittels Militärflugzeugen. Doch damit war die Kapitulation noch nicht vollzogen. Der zweite Akt, der noch demütigender ist als der erste (als dem Personal der diplomatischen Vertretung sogar die Croissants zum Frühstück vorenthalten wurden), hat gerade erst begonnen.

Nun muss Paris nicht nur einfache Zivilisten, sondern auch 1.500 Militärangehörige evakuieren ‒ und nicht zu vergessen die gesamte logistische Ausrüstung, die so ein Armeekontingent hat.

Die Flucht beginnt in dieser Woche.

Natürlich waren sowohl im ersten als auch im zweiten Akt Verhandlungen erforderlich (was natürlich nicht offen verkündet wird) mit denjenigen, die zunächst mit allen möglichen Schimpfwörtern beschimpft und denen fast alle Arten von Strafen gedroht wurden – einschließlich eines militärischen Eingreifens. Dieses hätte entweder durch die ECOWAS-Truppen oder durch die nigerianische Armee passieren können.

Doch nein: Frankreich flieht nun, und zwar sehr schnell, aus einem Land, das es im Großen und Ganzen trotz aller Parolen, die es verkündete, nie verlassen wollte.

In Westafrika fühlten sich die Franzosen bis vor fünf Jahren so, wie sich ein Stadtbewohner in einem Landhaus fühlt. Freizügigkeit, Freiheit von Verpflichtungen, eine sehr bedingte Beachtung der Höflichkeit im Umgang mit den örtlichen Partnern. Kurzum war ihre Parole: Ach, wie schön ist doch dieses Afrika! Alles wird einem fast geschenkt, wenn etwas nicht ganz umsonst passiert, dann mit einem Rabatt, von dem man nicht zu träumen wagt – zum Beispiel, wenn man sich mit den europäischen Partnern über einen bestimmten Handel einig ist. Etwaige Streitigkeiten werden schnell beigelegt, denn das Establishment ist nicht nur gezähmt, es besteht aus den gleichen Franzosen, die in der gleichen elitären zivilen Universität Science Po oder militärischen Eliteschule Saint-Cyr ausgebildet wurden, nur halt mit einer anderen Hautfarbe.

Aber ab einem bestimmten Punkt führte diese Erziehung und die Teilnahme der örtlichen Eliten an bestimmten Kreisen der Franzosen, die Westafrika als eine Art Hinterhof betrachteten, zu einem bösen Erwachen.

Gebildete Militärs, ganz zu schweigen von den einfachen Menschen in Mali, Burkina Faso und Niger, begannen zu begreifen, dass weder die Präsenz der französischen Armee noch die Machenschaften französischer Konzerne oder die Arbeit der französischen Medien ihren Ländern – Mali, Burkina Faso oder Niger – irgendeinen Nutzen bringen. Sie bringen nur Probleme.

Daher begann man, Paris zunächst höflich, dann immer eindringlicher darauf hinzuweisen, dass es seinen Aufenthalt zu lange hinausgezögert habe.

Was man einer Nation, die sich selbst als Urheberin des Fortschritts sieht, nicht nehmen kann, ist ein intuitives Gespür für Gefahr. Deshalb wurde, als die Armeeeinheiten vom Flughafen Kabul flohen und all jene im Stich ließen, die ihnen dienten und vertrauten, beschlossen, die Militäroperation in der Sahelzone einzuschränken und gleichzeitig das militärische Kontingent von dort in geordneter Weise abzuziehen (das Ziel war ein Rückzug, ohne an Selbstvertrauen zu verlieren). Man versuchte, dieses Kontingent in der Region zu zerstreuen. Nicht nur für den Fall, sondern um im Falle einer Einstellung der Feindseligkeiten "gegen die Islamisten" nicht nur nominell, sondern auch de facto die Kontrolle über die Region zu behalten.

Burkina Faso hat gesehen, was mit den Franzosen in Mali geschehen ist. Und es hat beschlossen, etwas Ähnliches zu tun.

Frankreich, dessen Nationalsymbol der gallische Hahn ist, verwandelte sich in einen Hasen, der von Jägern hinausgejagt wurde. Die Jagd führte nach Niamey, der Hauptstadt von Niger.

Dort setzte man den Franzosen hart zu: Die nigrische Nationalgarde setzte Präsident Mohamed Bazoum ab und forderte die Franzosen auf, zu verschwinden – für den Moment friedlich. Diese begannen, Anstalten zu machen, ihr Kampfgeist reichte aber nur für einen Monat. Nach Niger lehnte sich nun auch Gabun gegen Frankreich auf. Wie Niamey hatte auch Libreville kein Interesse mehr an den Verhältnissen, in denen Paris immer Recht hatte.

In den zwei Jahren seit dem Fiasko in Afghanistan hat Frankreich nichts anderes getan, als davonzulaufen. Flucht bedeutet in der Politikwissenschaft: Verlust von Einfluss. Aus psychologischer Sicht ist es auch ein Verlust des Gesichts.

Alles, was mit mehr oder weniger Erfolg als Erbe der gaullistischen Politik bewahrt wurde – auch wenn es ethisch zwar fehlerhaft, aber pragmatisch richtig gewesen ist –, war verloren. Um eine banale Analogie zu verwenden, ist es wie bei einem Alkoholiker, der seine Familienerbstücke verkauft, um genug zum Trinken zu haben.

Die Beziehungen zu Russland waren genau die gleiche Art von Erbstücken, die Frankreich theoretisch hätte bewahren sollen. Aber nein – nachdem Paris in Afrika ein Hausverbot erhalten hatte, gelang es ihm gleichzeitig, seine Beziehungen zu Moskau zu ruinieren. Es hat die Brücken hier und dort bis auf den Grund zerstört.

Heute ist Frankreich in die Enge getrieben, ohne jeglichen Handlungsspielraum auf der internationalen Bühne (ein Beispiel stellt die Weigerung dar, es zum BRICS-Gipfel einzuladen), und es ist vollkommen verdientermaßen zur Persona non grata geworden. Das hat Paris seiner eigenen Feigheit und politischen Kurzsichtigkeit zu verdanken, die in eine nicht mehr kurierbare Phase eingetreten ist.

Übersetzt aus dem Russischen. Zuerst erschienen auf RIA Nowosti am 9. Oktober 2023.

Jelena Karajewa ist eine russische Journalistin und Kolumnistin bei RIA Nowosti.

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