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Mythos trifft auf Realität: HIMARS-Systeme werden Kiew nicht den Sieg bringen

Der Mythos, dass US-amerikanische Raketenwerfer vom Typ HIMARS die Situation auf dem Schlachtfeld in der Ukraine zugunsten Kiews drehen werden, ist medial wirkungsvoll. In der Realität werden die Waffensysteme der Ukraine aber nicht zum Sieg verhelfen.
Mythos trifft auf Realität: HIMARS-Systeme werden Kiew nicht den Sieg bringenQuelle: Legion-media.ru © APFootage

Eine Analyse von Scott Ritter

Am 23. Juni schrieb Alexei Resnikow, der ukrainische Verteidigungsminister, auf Twitter:

"Das HIMARS-System ist in der Ukraine angekommen. Vielen Dank an meinen US-Kollegen und Freund, Verteidigungsminister Lloyd J. Austin, für diese leistungsstarken Waffen! Der Sommer wird heiß für die russischen Besatzer. Und für einige von ihnen der letzte."

Mit einem weiteren Tweet am 4. Juli setzte er noch einen drauf. Hierin wünschte er dem US-amerikanischen Volk einen "glücklichen Unabhängigkeitstag" und bedankte sich für die anhaltende Unterstützung "für die ukrainische Sache". Resnikow hob die Rolle hervor, die die HIMARS-Systeme dabei spielen, die er als "Spielmacher an der Front" bezeichnete.

In den Wochen nach Resnikows Ankündigung über die Ankunft des in den USA hergestellten M-142 Raketensystems mit hoher Mobilität – HIMARS – scheint der Hype, der den Einsatz dieser neuen Waffe sowohl auf ukrainischer als auch auf russischer Seite begleitete, nicht die Behauptungen des ukrainischen Verteidigungsministers zu untermauern, dass Kiew nun über "eine bahnbrechende neue Waffentechnologie" verfüge.

Die harte Realität der Kriegsführung ist, dass jedes moderne Waffensystem, wenn es effektiv eingesetzt wird, in der Lage ist, einem Gegner Verluste zuzufügen. Igor Strelkow, ein Pseudonym des russischen Nationalisten Igor Girkin, zu dessen früheren Arbeitgebern der russische FSB und die Miliz der Volksrepublik Donezk gehörten, berichtete auf seinem Telegram-Kanal über einige der Zerstörungen, die durch HIMARS verursacht wurden.

"In den vergangenen fünf bis sieben Tagen", schrieb er am 10. Juli, "sind mehr als zehn große Lager mit Munition für Artillerie und weitere Munition, mehrere Öldepots, etwa ein Dutzend Kommandoposten und etwa die gleiche Anzahl von Standorten mit Truppen in unserem nahen und tiefen Hinterland getroffen worden, sowie mehrere Luftverteidigungs- und Artilleriestellungen. Es wurden große Verluste an Personal und Ausrüstung erlitten."

Alexander Sladkow, ein Militärjournalist und Sonderkorrespondent des russischen Fernsehsenders Westi VGTRK, schien die Informationen Strelkows zu bestätigen, indem er auf seinem Telegram-Kanal das Folgende mitteilte: "Ukrainische Raketen und Artillerie haben unsere Entscheidungszentren bereits mehrmals getroffen. Mit Ergebnissen. Die Zentren sind zwar nicht groß, aber wichtig." Sowohl Strelkow als auch Sladkow lehnten die Reaktion Russlands auf das ab, was sie – zu Recht – als eine große Eskalation seitens der Ukraine und ihrer US-NATO-Unterstützer beschrieben.

Eine typische HIMARS-Batterie, wie sie sowohl von den USA als auch von der NATO eingesetzt wird, umfasst neun selbstfahrende Raketenwerfer, die von Dutzenden Unterstützungsfahrzeugen begleitet werden. Berichten zufolge haben die USA der Ukraine bisher acht bis zwölf dieser Systeme zur Verfügung gestellt, die mit speziell ausgebildeten ukrainischen Artilleristen bemannt sind, nachdem sie einen dreiwöchigen Trainingskurs der US-Armee in Grafenwöhr in Deutschland durchlaufen haben.

Laut dem Institute of War, einer in den USA ansässigen Denkfabrik, "zielen ukrainische Streitkräfte mit von den USA bereitgestellten HIMARS-Systemen zunehmend mit indirektem Feuer auf russische Militärinfrastruktur tief im besetzten Gebiet". Das Institut kommt zum Schluss, dass "die gesteigerte Fähigkeit der ukrainischen Streitkräfte, kritische russische Militäreinrichtungen mit vom Westen bereitgestellten HIMARS anzugreifen, demonstriert, wie westliche Militärhilfe der Ukraine neue und notwendige militärische Fähigkeiten verleiht".

Der Kyiv Independent, eine vom Westen finanzierte ukrainische Propagandaplattform, berichtete, dass "Russland bis zum 7. Juli die meisten seiner wichtigsten Munitionsdepots und viele seiner kleineren Depots im besetzten Donbass verloren hat. Bemerkenswerterweise wurden viele wichtige Ziele zwischen 50 und 80 Kilometer tief im russisch kontrollierten Gebiet erfolgreich zerstört." Max Boot, ein in Moskau geborener Russophob, der für die Washington Post schreibt, war so beeindruckt von der Leistung von HIMARS, dass er einen Kommentar schrieb, in dem er selbstbewusst verkündete: "Um den Krieg zu verkürzen, sollte man 60 HIMARS in die Ukraine schicken."

Ich meine, wenn acht HIMARS die gepriesene russische Kriegsmaschine in die Knie zwingen können, dann stelle man sich vor, was passieren könnte, wenn die Ukraine 60 davon hätte, nicht wahr? Aber Moment mal, es gibt eine Antwort auf diese Frage. In einem Interview mit der Sunday Times enthüllte der ukrainische Verteidigungsminister kürzlichen, dass Präsident Wladimir Selenskij "dem ukrainischen Militär befohlen hatte, besetzte Küstengebiete zurückzuerobern, die für die Wirtschaft des Landes lebenswichtig sind".

Es scheint also, als ob die Ukraine den Krieg gegen Russland gewinnt. Außer natürlich, dass sie es nicht tut. Dies käme nicht mal annähernd an die Realität heran. Die Vorstellung, dass HIMARS eine "Superwaffe" sei, die in der Lage ist, die Narrative aus den Schlachtfeldern in der Ostukraine auf den Kopf zu stellen, ist einfach gesagt, reiner Unsinn.

Russland hat im Laufe der vergangenen drei Monate seine Kriegskunst perfektioniert, wenn es darum geht, das ukrainische Militär zu besiegen. John Boyd, ein berühmter amerikanischer Kampfpilot, der zum Militärtheoretiker wurde, prägte ein Konzept, das als "OODA-Loop" (Observe, Orient, Decide, Act – beobachten, orientieren, entscheiden, handeln) bekannt wurde und mit dem er die einzelnen Phasen von Militäroperationen darstellte.

Jene Seite im Kampfgeschehen, die den OODA-Loop effizient umsetzt, "schafft einen Entscheidungszyklus", der den Gegner zwingt, in einem rein reaktiven Modus zu operieren, wodurch die überlegene Partei den Sieg erringen kann. Russland hat im Rahmen seiner Militäroperation in der Ukraine "einen Entscheidungszyklus" geschaffen und dominiert den Konflikt wirtschaftlich, politisch und militärisch. HIMARS ändert nichts an dieser Realität.

Das russische Militär ist wie jede erfolgreiche militärische Organisation äußerst anpassungsfähig. Dies ist erforderlich, um auf einem modernen Schlachtfeld bestehen zu können. Der Konflikt in der Ukraine ist anders als jeder andere Konflikt der Neuzeit und erfordert, dass die russischen Kommandeure die operative Theorie, wie sie von der eigenen Doktrin definiert wird, an die anspruchsvollen Realitäten der ostukrainischen Front anpassen. Die Tatsache, dass ungefähr 200.000 russische Soldaten mehr als 700.000 ukrainischen Soldaten bisher ihren Willen aufzwingen konnten, während Verlustquoten erreicht wurden, die entschieden zu Russlands Gunsten sind, spricht für die Realität einer OODA-Loop-Dominanz gegenüber der Ukraine.

Letztendlich sind HIMARS und andere sogenannte fortschrittliche westliche Waffen nur Werkzeuge, die von einem Akteur eingesetzt werden, der systematisch vom russischen Militär besiegt wird. Dies wird sich auch nicht ändern, unabhängig davon, ob die Ukraine vier, acht, zwölf oder sogar 60 HIMARS-Systeme einsetzt.

In erster Linie ist die Überlebensfähigkeit der HIMARS ein entscheidender Faktor. Russland ist hervorragend darin, vom Westen bereitgestellte Waffen zu zerstören. Aufgrund von Dutzenden von Lastwagen, die benötigt werden, um die von den Werfern verwendete Munition zu transportieren, ist der Fußabdruck der HIMARS-Systeme groß. Die Fahrzeuge brauchen Treibstoff und die Munition muss geschützt gelagert werden, ebenso wie wie die Werfer selbst. Dieser beträchtliche Fußabdruck erzeugt eine Signatur, die von jedem fähigen militärischen Nachrichtendienst erkannt werden kann – und Russland hat fähige Nachrichtendienste. Die Ironie besteht in der Tat darin, dass je größer die Zahl der von der Ukraine in Dienst gestellten HIMARS ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie von Russland entdeckt und zerstört werden.

Moskau behauptete unterdessen, zwei der ursprünglich vier an die Ukraine gelieferten HIMARS-Systeme zerstört zu haben. Sowohl die Ukraine als auch die USA bestritten diese Behauptung vehement. Russland behauptete auch, mehrere Lagerhäuser zerstört zu haben, in denen HIMARS-Munition gelagert wurde. Der Punkt ist, dass Russland kein passiver Akteur auf der militärischen Bühne ist. Der Einsatz von HIMARS war kein Geheimnis und Russland hatte viel Zeit, sich auf deren Einsatz auf dem Schlachtfeld vorzubereiten.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die ukrainischen Streitkräfte keine Schäden oder Opfer verursachen. HIMARS ist eine tödliche Waffe, die richtig eingesetzt Tod und Zerstörung herbeiführen kann. Laut Kiew kam das System kürzlich bei einem Angriff auf einen russischen Kommandoposten zum Einsatz, bei dem ein hochrangiger General getötet wurde. Der Kreml hat dies noch nicht bestätigt.

Russische Militäranalysten sagen, dass die Wirksamkeit von HIMARS durch eine Taktik verbessert wurde, bei der das ukrainische Militär mehrere Salven herkömmlicher Langstrecken-Raketen abfeuert. Dies veranlasst die russische Luftabwehr, über dem beabsichtigten Ziel einzugreifen. Ukrainische Streitkräfte feuern dann die HIMARS-Raketen ab, die in der Lage sind, das überwältigte russische Luftverteidigungsnetz zu durchdringen.

Das russische Militär ist jedoch sehr anpassungsfähig. Es wird nicht lange dauern, bis man eine angemessene taktische Antwort auf das Problem mit den HIMARS entwickeln und anwenden wird. In der Zwischenzeit gehen die russischen Militäroperationen im gesamten Donbass ungehindert weiter, wobei die Streitkräfte Russlands eine tödliche Dominanz über ihre ukrainischen Gegner ausüben.

Bei allem Respekt, Alexei Resnikow, HIMARS ist kein "Spielmacher an der Front".

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Scott Ritter ist ein ehemaliger Offizier für Aufklärung der US-Marineinfanterie und Autor von "SCORPION KING: America's Suicidal Embrace of Nuclear Weapons from FDR to Trump". Er diente den USA in der Sowjetunion als Inspektor für die Umsetzung der Auflagen des INF-Vertrags, während des Zweiten Golfkriegs im Stab von General Norman Schwarzkopf und war danach von 1991 bis 1998 als Waffen-Chefinspekteur bei der UNO im Irak tätig. Derzeit schreibt Ritter über Themen, die die internationale Sicherheit, militärische Angelegenheiten, Russland und den Nahen Osten sowie Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung betreffen. Man kann ihm auf Telegram folgen.

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