Europa

Deutsche Stiefel auf dem Balkan: Zwischen Friedensmission und traumatischen Erinnerungen

Deutschland ist in der vergangenen Woche auf skurrile Weise ins Rampenlicht nicht nur der Balkan-Öffentlichkeit gerückt. Schuld daran ist der frühere deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, der auf den Posten des Hohen Repräsentanten (OHR) bestellt wurde.
Deutsche Stiefel auf dem Balkan: Zwischen Friedensmission und traumatischen Erinnerungen© Thomas Imo / www.imago-images.de

Eine Analyse von Marinko Učur

Die jüngste Ankunft einer Gruppe von 50 deutschen Soldaten in Bosnien und Herzegowina hat die Stimmung in jener multinationalen Gemeinschaft, die von wirtschaftlichen Problemen und ethnischen Spannungen belastet ist, weiter aufgewühlt. Die Deutschen kommen als Verstärkung der EUFOR-Mission und nennen als Grund die "angespannte innenpolitische Lage und Russlands Einflussnahmeversuche", obwohl Moskau bisher unzählige Male hervorgehoben hat, es unterstütze die Integrität der durch das Abkommen von Dayton aus zwei Entitäten und drei konstitutiven Völkern geschaffenen Gemeinschaft.

Solche Zusicherungen kommen offenbar nicht zu Ohren der Berliner Entscheidungsträger, insbesondere der deutschen Außenministerin Annalena Baerbock, der lautesten Befürworterin der Entsendung deutscher Soldaten auf den Balkan. So gab der Bundestag ohne großen Widerstand der Bundeswehr grünes Licht, sich der Althea-Mission mit einer symbolischen Zahl von nur 50 Mann anzuschließen. Die Entscheidung des Deutschen Bundestages hat in der Republika Srpska angesichts der traumatischen Erfahrungen in der Vergangenheit, insbesondere während des Zweiten Weltkriegs, alte Ängste und Bedenken bezüglich der guten Absichten Deutschlands und seiner Truppen geweckt.

Die Serben vergessen auch nicht die Rolle Deutschlands beim blutigen Zerfall des ehemaligen Jugoslawiens während der Bürgerkriege in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts sowie die Tatsache, dass die Deutschen fast immer auf der Seite der Feinde Serbiens standen. Zur Verkomplizierung der Sache tragen die Vertreter der beiden anderen Völker in Bosnien und Herzegowina bei: die Kroaten, aber vor allem die Bosniaken, die die Ankunft der deutschen Soldaten fast mit Beifall begrüßten.

Dadurch wurde ihre Präsenz in diesem Land weiter problematisiert, und Politiker sowie irgendwelche Analysten schalteten sich sofort in die Diskussion über die Zweckmäßigkeit ihrer Ankunft und ihres Aufenthalts ein. Je nach nationaler Zugehörigkeit waren diese wiederum FÜR oder GEGEN die neueste Entwicklung der Lage. Die angebliche Absicht Russlands, die Stabilität und Sicherheit des Landes zu untergraben, welche der Bundestag als Begründung geschluckt hat, versuchte wenig überzeugend der ehemalige Leiter der Militärvertretung bei der NATO, Alija Kožljak, zu erklären:

"Die Botschaft, die an Bosnien und Herzegowina gesendet wird, lautet, dass diejenigen Kräfte, die im Namen der Russischen Föderation die Stabilität und Sicherheit in Bosnien und Herzegowina untergraben, definitiv auf ein Hindernis stoßen werden, denn dies ist auch eine Bestätigung der Entschlossenheit der EUFOR, dass Frieden und Stabilität nicht in Frage gestellt werden."

Und weiter:

"Es ist offensichtlich, dass es sich um koordinierte Aktivitäten sowohl der NATO als auch der EU handelt, da diese Entscheidungen nach dem jüngsten NATO-Gipfel in Madrid getroffen wurden, wo in Zusammenarbeit mit der EU eine Entscheidung über politische und praktische Unterstützung für Bosnien und Herzegowina getroffen wurde, und Deutschland tut genau das, indem es politische und praktische Unterstützung in dieses Land entsendet."

Kožljak behauptete zudem, dass sich das moderne Deutschland längst von seiner Nazi-Vergangenheit verabschiedet habe und dass es keinen Platz für Angst vor dem modernen Deutschland und seinen Soldaten gebe. Hiervon ließ sich die andere Seite allerdings nicht beirren, da sie der immer häufigeren Demonstration deutscher Militärmacht, einschließlich dieses jüngsten deutschen "Vorstoßes auf den Balkan" skeptisch gegenübersteht. So sagte das serbische Mitglied der dreiköpfigen Präsidentschaft des Landes Milorad Dodik:

"In diese militärische Struktur können wir kein Vertrauen haben, wenn man bedenkt, dass durch diese Entschließung des Bundestages ein Eingriff in die verfassungsrechtliche Ordnung angedeutet wurde, was eine typische Einmischung in die Angelegenheiten eines Landes ist. Wir werden auf alle Momente und Elemente hinweisen, warum ich dagegen bin. Deutschland kann hier, nicht nur aufgrund historischer, sondern auch aktueller Ansätze gegenüber Bosnien und Herzegowina, absolut nicht das Vertrauen von uns Serben und der Republika Srpska genießen, wenn man an die zuvor angenommene Entschließung des Bundestages denkt, in der steht, dass das politische System geändert und alles auf die BiH-Ebene konzentriert und zentralisiert werden muss und die Entitäten abzuschaffen sind. Wir können einer solchen Politik Deutschlands und seiner Präsenz hier nicht vertrauen und sie nicht unterstützen."

Zuvor hatte Dodik bereits erklärt, dass

"Deutschland, das im Zweiten Weltkrieg die Ustascha dabei unterstützte, hier die Serben zu töten und Konzentrationslager einzurichten, nun seine Streitkräfte ankündigt. Ihre Streitkräfte sind hier in keiner Form willkommen und können nicht ohne die Entscheidung des Präsidiums von Bosnien und Herzegowina kommen. Ich öffne Deutschland nicht eine Sekunde lang die Tür, hier mit seinen Truppen einzumarschieren."

Er drückte zudem sein Bedauern darüber aus, dass er einst seine Zustimmung zur Verlängerung der Althea-Mission in Bosnien und Herzegowina gegeben habe. Für einen unabhängigen Beobachter von außen mag es scheinen, als ob sich die ausländischen Soldaten wegen möglicher Spannungen vor den für den 2. Oktober angesetzten Parlamentswahlen helfend in einem Land mit fragilem Frieden und brüchiger Stabilität positionieren wollen. Es gibt aber auch Stimmen, die behaupten, die NATO versuche, sich aufgrund des fehlenden Konsenses in Bosnien und Herzegowina bezüglich eines Beitritts zum Militärbündnis besser zu positionieren.

Die Republika Srpska, eine der beiden Entitäten des Landes, ist entschieden gegen die Möglichkeit, dass BiH Mitglied eines Militärbündnisses werde. Sowohl die Regierung als auch die Opposition in dieser Entität bestehen stattdessen auf Neutralität, was im übrigen auch die offizielle Außenpolitik Serbiens ist. Für die NATO ist das eine neue Herausforderung sowie eine neue Unbekannte, und daher die Eile, EUFOR mit zusätzlichen Soldaten aufzustocken.

Hinzu kommt noch, dass das derzeitige Mandat der EUFOR-Mission im November ausläuft und es Sache des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ist, über die Verlängerung um ein weiteres Jahr zu entscheiden. Allerdings befürchten Strategen des westlichen Militärbündnisses und Politiker in Brüssel, dass Russland dann ein Veto gegen die Verlängerung des Mandats einlegen könnte, welche die am längsten andauernde Bodenmilitäroperation der Europäischen Union und die einzige mit Exekutivmandat für die Gewaltanwendung in Krisensituationen ist. 

Deutschland ist in der vergangenen Woche auf eine andere, diesmal skurrile Weise ins Rampenlicht nicht nur der Balkan-Öffentlichkeit gerückt. Tatsächlich ist der Diplomat Christian Schmidt, seines Zeichens ehemaliger Landwirtschaftsminister in der Regierung Angela Merkel und später auf den Posten des Hohen Repräsentanten (OHR) bestellt, der wahre Schuldige dafür.

Angesichts einer zunehmenden Ablehnung dieser Personalie seitens der Regierung der Republika Srpska, weil Schmidt nicht nach der standardmäßigen Verfahrensweise und Entscheidungsfindung des UN-Sicherheitsrates ernannt wurde, sowie dem Umstand, dass Russland und China gegen seine Ernennung zum Leiter des OHR waren, hat dieser nun auf die Frage eines Journalisten "die Nerven verloren" und sich sehr undiplomatisch verhalten.

Ein Video der entscheidenden Pressekonferenz kursiert seit Tagen in den sozialen Medien und stellt den "deutschen Touristen Schmidt", wie sie ihn hier nennen, in einem ganz anderen Licht dar … weshalb er von zahlreichen Medien, besonders von jenen aus seiner Heimat Deutschland, an den Pranger gestellt wird: 

"Müll!!! Totaler Quatsch! Leute, ich sitze oder stehe hier nicht rum, ich kümmere mich um dieses Land. Dies ist eine Stadt, in der Menschen ihr Leben verloren haben, und wir sind nicht hier, um politische Spielchen zu spielen. Und in diesem Land spielen die Leute politische Spielchen – nicht die Menschen, sondern die Politiker. Ich habe genug davon. Stellen Sie Ihre Fragen, aber beachten Sie, wie ich Entscheidungen treffe und mit Menschen umgehe. Entschuldigen Sie, dass ich so offen bin, aber es steht mir bis hier mit all diesen Beschimpfungen, die völlig falsch sind."

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