Europa

Wer ist der Neonazi hinter dem Terroranschlag in der russischen Region Brjansk?

Der Organisator des Terroranschlags nahe der Grenze zwischen der Ukraine und Russland siedelte 2017 nach Kiew über und steht schon seit langem mit rechtsextremer Gewalt in Verbindung. Er gilt als einer der führenden europäischen Rechtsextremisten.
Wer ist der Neonazi hinter dem Terroranschlag in der russischen Region Brjansk?© Soziale Medien

Von Dmitri Plotnikow

Am vergangenen Donnerstagmorgen überquerte eine Gruppe bewaffneter Aktivisten die Grenze aus der Ukraine in die russische Region Brjansk. Das sogenannte "Russische Korps der Freiwilligen" – RDK oder Russkiy dobrovol’cheskiy korpus –, bestehend aus Russen, die für die ukrainischen Streitkräfte kämpfen, übernahm die Verantwortung für den Überfall. Präsident Wladimir Putin bezeichnete den Vorfall als "einen weiteren Terroranschlag, ein weiteres Verbrechen. Sie drangen in das Grenzgebiet ein und eröffneten das Feuer auf Zivilisten."

Der RDK hat eine Videobotschaft veröffentlicht und die Verantwortung für den Angriff übernommen. In diesem Video ist Denis Nikitin zu sehen, ein Neonazi mit weitreichenden internationalen Verbindungen. In rechtsextremen Kreisen als White Rex bekannt, forderte er die russischen Bürger auf, die Seite zu wechseln und sich der ukrainischen Armee anzuschließen. Nikitin behauptete zudem, seine Gruppe greife nur russische Soldaten und niemals Zivilisten an.

Wer ist dieser Mann? Welche Verbindung hat er zur Ukraine und ihren Streitkräften? Und wie wurde ein Fußball-Hooligan zu einer prominenten Figur in der europäischen und amerikanischen Neonazi-Unterwelt?

Der Fußball-Hooligan

Der richtige Nachname von Denis Nikitin ist Kapustin. Er ist etwa 39 Jahre alt und wurde in Russland geboren. Im Jahr 2001 zog seine Familie nach Köln – unter Ausnutzung der Regeln für die Umsiedlung von Juden – wo Nikitin begann, sich für Kampfsport zu interessieren. Mit 22 Jahren engagierte er sich bei lokalen Fußball-Ultras, wurde Skinhead und beteiligte sich nach eigenen Angaben regelmäßig an Straßengewalt und Schlägereien. Später zog er zurück nach Russland und ließ seine Familie in Deutschland zurück, ohne zu erklären, warum. Nach seiner Rückkehr nach Russland schloss er sich den Ultras der Fußballmannschaft ZSKA Moskau an.

"Ich kenne die Namen der Spieler nicht, ich kenne die Vereinsgeschichte nicht, ich hatte Schwierigkeiten, das Stadion zu finden. Ich liebe nicht den Fußball, ich liebe das Arsch treten. Ich mag den Adrenalinschub, ich mag es, durch die Straßen zu rennen", skizzierte er in einem Interview mit der ukrainischen Zeitschrift Zaborona, in dem er seine Ansichten als "weiße Vorherrschaft über alle Arten von Affen" beschrieb.

Denis pflegte seine Verbindungen zu den deutschen Ultras weiter, auch nachdem er zurück nach Russland gegangen war und nahm an ihren Randalen teil, wenn er Deutschland besuchte und schloss sich dabei den Kölner Ultras an. Nach einem Angriff auf Schalke-Anhänger im Jahr 2014 wurde ein Strafverfahren gegen ihn eröffnet und sein Fall wurde drei Jahre lang von den Gerichten verhandelt. Das endgültige Urteil in der Sache ist unbekannt.

Im Reich des Sports

Nikitin gründete 2008 seine eigene Bekleidungsmarke White Rex. Die Produkte verwendeten Nazi-Symbolik und richteten sich an Fußballultras. Das zentrale Element des Marken-Logos war eine Schwarze Sonne, eine Symbolik, das aus der Zeit der des Nationalsozialismus stammt und später von Neonazis übernommen wurde. In seinem Buch "Hooligans: Eine Welt zwischen Fußball, Gewalt und Politik" bezeichnet Robert Claus, Autor und Experte für rechtsextreme Bewegungen, Denis Nikitin als "Nazi-Geschäftsmann".

"Nikitin will eine Art Vorzugslieferant für Nazis sein", schrieb Claus und zitierte Nikitin, der einmal sagte, die Philosophie seiner Marke White Rex bestehe darin, alle Bedürfnisse eines modernen Mannes zu erfüllen.

Nikitin baute seine Geschäftsaktivitäten stetig aus. 2011 begann er mit der Organisation von MMA-Turnieren in Russland. Das erste fand in Woronesch unter dem Motto "Geist des Kriegers" statt, gefolgt von weiteren im ganzen Land, was ihm ein hohes Ansehen unter den lokalen rechtsextremen Gruppen einbrachte. Bei seinen MMA-Events durften die Kämpfer im Ring ausschließlich der "weißen Rasse" angehören und sie waren eher auf Amateure als auf Profis ausgerichtet. Im Jahr 2013 ernannte der russische Fernsehsender Boyets (Kämpfer) White Rex zur Werbekampagne des Jahres und das MMA-Turnier "Rising Nation" im selben Jahr wurde zum besten des Landes gekürt.

"Ich wollte neue Athleten rekrutieren und sie in unseren ideologischen Orbit bringen", sagte Nikitin auf die Frage, was seine Motivation für die Organisation der Turniere sei. Irgendwann beschloss er, seine Reichweite weiter auszubauen und begann, Turniere in postsowjetischen Republiken zu veranstalten. Während in der Ukraine seine Initiative begrüßt wurde, wurde sie in Weißrussland verboten und Nikitin wurde dort beinahe verhaftet. Trotzdem entwickelte und förderte er weiterhin sein "Sportimperium" im Westen.

Nikitin baute Verbindungen in viele europäische Länder auf. Er freundete sich mit Mitgliedern von Casa Pound Italy an, einer italienischen neofaschistischen Bewegung, die Benito Mussolini als ihren ideologischen Führer preist. Mit ihrer Unterstützung veranstaltete Nikitin eine Reihe von MMA-Turnieren in Rom, während er in Deutschland mit Unterstützung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands und ihres Jugendflügels, den Jungen Nationalisten, ein groß angelegtes Turnier mit dem Titel "Kampf der Nibelungen" organisierte. White Rex veranstaltete auch MMA-Turniere in Finnland, Frankreich, der Tschechischen Republik, Rumänien und in anderen Ländern. Darüber hinaus hielt Nikitin eine Reihe von MMA-Kampf-Trainings für nationalistische Gruppen in Großbritannien und der Schweiz ab.

Überwacht von den Sonderdiensten

"Auf diese Weise war Nikitin zu einer Schlüsselfigur unter den Rechtsextremisten in Europa geworden", bemerkte der Experte Robert Claus. Einigen Berichten zufolge hat Nikitin nicht nur Sportturniere mit starken rechtsextremen Untertönen organisiert, sondern auch Neonazis finanziell unterstützt und ihre Musikfestivals gesponsert.

Die zunehmende Popularität von Nikitin in rechtsextremen Kreisen blieb von den Behörden nicht unbemerkt. Alle seine MMA-Turniere in Russland wurden von der Polizei genau beobachtet. Nikitin selbst gab zu, dass jeder in seinem Umfeld von der russischen Abteilung zur Bekämpfung des Extremismus überwacht wurde:

"In einigen Städten verlangten sie die Liste aller Teilnehmer; in anderen nahmen sie alles offen oder verdeckt mit der Kamera auf. Wir haben keine Gesetze gebrochen. Ich habe keine Flaggen mit Hakenkreuzen aufgestellt, ich habe den Leuten keine Äxte gegeben, die sie ermutigt hätten, einfach irgendwohin zu gehen und alles zu zerschlagen, was ihnen im Weg steht." Nikitin wies alle Vorwürfe des Extremismus als "Meinung linksextremer Dummköpfe" zurück.

Im Jahr 2016 brachte Nikitin hundert russische Hooligans zu den Spielen der UEFA-Fußball-Europameisterschaft in Frankreich nach Marseille. Dort prügelten sich die russischen Ultras brutal mit englischen Ultras und schlugen einige von ihnen so hart zusammen, dass zwei davon im Koma ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten und einer von ihnen lebenslang teilweise gelähmt blieb. Ein Jahr später fanden britische Staatsmedien den Organisator dieser Gruppe russischer Fußball-Hooligans und sprachen mit ihm. Der interviewte Mann trug eine Skimaske und ein T-Shirt von White Rex und stellte sich als Denis vor. Er sah Nikitin sehr ähnlich und er klang auch so.

Als sich Russland 2018 auf die Ausrichtung der  Fußballweltmeisterschaft vorbereitete, sah man die Notwendigkeit, die Ultras zu zügeln. Nach dem Vorfall in Marseille hatten sich die Spannungen zwischen den Ultras und der russischen Regierung verschärft, da letztere einen Reputationsschaden für das WM-Gastgeberland befürchtete. Die Schlägerei in Marseille hatte Nikitin sowohl in Russland als auch in weiten Teilen Europas zur "Persona non grata" gemacht, sodass er 2017 in die Ukraine übersiedelte.

Im Exil

Im Oktober 2017 wurde in Kiew der Reconquista Club eröffnet. Sein Name ist der sogenannten "ukrainischen Reconquista" gewidmet, einer Bewegung zur Förderung des ukrainischen Einflusses in Europa. Freitags wurden im Club Faustkämpfe und andere Arten von Kampfsportveranstaltungen organisiert. Insgesamt fanden hier 40 MMA-Turniere statt. Im Mai 2018 kämpfte Robert Rundo, der Gründer der in Kalifornien ansässigen rechtsextremen Rise Above Movement (RAM), im Reconquista. Wenige Monate später wurden Rundo und drei weitere Mitglieder der RAM in den USA festgenommen, weil sie im August 2017 an der Rassisten-Kundgebung "Unite the Right" (Eint die Rechte) in Charlottesville teilgenommen hatten.

Das FBI nannte RAM eine "extremistische Gruppe weißer Vorherrschaft" und enthüllte, dass Rundo mit Mitgliedern der "paramilitärischen Neonazi-Gruppe" von Asow in Kontakt stand. Rundo traf sich in Kiew mit Vertretern von Asow, insbesondere mit Elena Semenyaka, der Sekretärin für internationale Angelegenheiten des Nationalkorps, einer politischen Partei, die aus dem Asow-Bataillon hervorgegangen ist. Semenyaka bestätigte, dass die Amerikaner zu Sportwettkämpfen gekommen seien und sich für die Erfahrungen von Asow bei der Organisation von Jugendbewegungen interessierten. Rundo wurde vor allem von Denis Nikitin inspiriert, dem Organisator der MMA-Kämpfe bei der Reconquista. Rundo war so fasziniert von Nikitin, dass er sich sogar das Logo seiner Marke tätowieren ließ.

Über das Leben von Nikitin in der Ukraine ist jedoch sehr wenig bekannt. Es ist, als würde eine Trennlinie die Biografie dieses Mannes in "vor" und "nach" seiner Abreise aus Russland teilen. Im Jahr 2019 hörte er damit auf, große Sportveranstaltungen zu organisieren und verschwand komplett vom Radar. Berichte über seine Verhaftung durch die Sicherheitsdienste kursierten hin und wieder, wurden aber nie bestätigt.

Im Jahr 2022, nach Beginn der Militäroperation in der Ukraine, tauchte Nikitin plötzlich in den Reihen der RDK, einer Einheit der ukrainischen Streitkräfte, wieder auf. Er sprach in einem Interview über seine Motivation: "Wenn Russland für Russen auf die Größe von Moskau oder der Region Moskau oder des europäischen Teils Russlands reduziert wird, bin ich als Nationalist damit einverstanden. Hier sehe ich mich auf Augenhöhe mit ukrainischen Nationalisten."

Die Nazi-Diaspora

Als Nikitin in die Ukraine zog, gab es dort bereits eine große Diaspora rechtsextremer Russen. Unter ihnen war Alexey Lewkin, Gründer der Neonazi-Organisation Wotanjugend, der als Teil des Asow-Bataillons im Donbass gekämpft hatte. Ein weiterer russischer Staatsbürger, Sergey Korotkich, Spitzname Botsman, hatte sich ebenfalls dieser Einheit angeschlossen. Auch er hatte im Donbass für die Ukraine gekämpft und seinen ukrainischen Pass persönlich von Petro Poroschenko, dem fünften Präsidenten der Ukraine, erhalten. Einige investigative Journalisten glauben auch, dass Korotkikh 2016 an der Ermordung des Journalisten Pawel Scheremet in Kiew beteiligt gewesen sein könnte.

Zu den Kontakten von Nikitin in Kiew gehörte auch Kirill Kanachin, alias Radonsky. Im Jahr 2018 zog er in die Ukraine, nachdem in Russland Anklage gegen ihn erhoben worden war. Er diente eine Weile im Asow-Bataillon, bevor er dann Yogalehrer wurde. Während sein Lebenslauf aufzeigt, dass er etwa 1.000 US-Dollar pro Yogaklasse verlangt, veröffentlicht er auch Fotos in sozialen Medien, die Waffen und Hakenkreuze zeigen, die mit Ornamenten nach Art der Hindus verziert sind. Außerdem erschien er in Fotos und Videos mit Nikitin, die vom RDK in der Region Brjansk aufgenommen wurden.

Nikitin hatte gute Beziehungen zu vielen hochkarätigen Ultrarechten in der Ukraine, einschließlich Elena Semenyaka. Er förderte ihre Kontakte zu italienischen und deutschen Neonazis und sie hat nie versucht, eine Beteiligung von Nikitin zu verbergen. Im Jahr 2017 besuchten sie gemeinsam eine Konferenz in Warschau – organisiert von der polnischen Organisation der Weißen Vorherrschaft Szturmowcy. Auf dieser Konferenz stellte Nikitin Asow als Europas einzige legale rechtsextreme paramilitärische Organisation dar.

Auch russische Blogger interessierten sich für ihn. In einem Interview mit dem Libertären Michail Swetow im Januar 2023 sprach Nikitin über Sabotage auf russischem Territorium. Er sagte, die ukrainische Militärführung habe nicht auf Sabotage zurückgegriffen, weil sie "einen Sinn für Ehre" habe und "den Feind auf dem Schlachtfeld besiegen will, wie es Ehrenmänner tun". Er argumentierte, dass es keine Notwendigkeit für ein Eindringen nach Russland gebe. Er erklärte auch, er habe im Nachkriegsrussland politische Ambitionen.

In einem Interview mit dem russischen Journalisten Oleg Kaschin im vergangenen November sagte Nikitin, er habe vielleicht Sympathie für Zivilisten in Russland empfunden, aber die meisten von ihnen betrachteten ihn als Nazi. "Ich wurde an dem Zeitpunkt zum Feind, als die Zeitungen und das Fernsehen es sagten", bemerkte er. Er betonte auch, dass er keine Zivilisten töte. Gleichzeitig betrachtete er alle als feindliche Kämpfer, die "verbale Unterstützung" für die russische Armee ausdrückten oder "sogar Steuern bezahlt" hätten.

Kiew hat seine Beteiligung am Angriff der RDK in der Region Brjansk bestritten. Der ukrainische Präsidentenberater Michail Podoliak nannte das Ereignis "eine klassische Provokation". Russland wolle sein eigenes Volk einschüchtern, "um seine Aggression und die wachsende Armut nach einem Jahr des Krieges zumindest einigermaßen zu rechtfertigen", sagte er.

Inzwischen ist Nikitin offenbar wohlbehalten in die Ukraine zurückgekehrt, was zumindest auf die stillschweigende Billigung mächtiger Leute im Land hindeutet. Trotzdem wird es ihm kaum gelingen, die russische Gesellschaft zu spalten, sei es allein oder in Abstimmung mit der ukrainischen Militärführung.

Aus dem Englischen.

Dmitri Plotnikow ist ein politischer Journalist, der sich mit der Geschichte und den aktuellen Ereignissen in den ehemaligen Sowjetstaaten befasst.

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