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Wie Waffen aus dem Westen durch die Ukraine auf den Schwarzmarkt gelangen

Wöchentlich mahnt das Pentagon die Behörden in Kiew, man sollte sorgfältig darauf achten, dass die vom Westen gelieferten Waffen nicht in die falschen Hände geraten. Für besondere Unruhe sorgen dabei die MANPADS. Wie gelangen diese Waffen auf den Schwarzmarkt?
Wie Waffen aus dem Westen durch die Ukraine auf den Schwarzmarkt gelangenQuelle: AFP © Sergei Supinsky

von Andrej Restschikow und Michael Moschkin  

Wöchentlich mahnt das Pentagon die Behörden in Kiew, man sollte sorgfältig darauf achten, dass die vom Westen gelieferten Waffen nicht in die falschen Hände geraten. Besondere Unruhe bereiten die MANPADS, die zu Tausenden in die Ukraine gelangen. Noch zu Friedenszeiten erwarb sich die Ukraine den Ruf einer "Grauzone", von der aus Waffen unkontrolliert in die Welt geraten sind. Wie und in welchen Mengen gelangt diese westliche tödliche Hilfe auf den Schwarzmarkt?

Das US-Militär verlange von Kiew, streng zu kontrollieren, was mit den Waffen geschieht, die von den Vereinigten Staaten der Ukraine überlassen werden. Dies teilte Pentagon-Chef Lloyd Austin am Donnerstag bei einer Anhörung des Haushaltsausschusses mit. "Ich überprüfe das jedes Mal, wenn wir mit unseren Partnern sprechen, und wir tun es wöchentlich", versicherte der US-Verteidigungsminister den Kongressabgeordneten. Seine letzte Mahnung sprach er am Mittwoch bei einem Gespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Alexei Resnikow aus. "Wir unterstreichen immer wieder diesen sehr, sehr wichtigen Standpunkt", so der Pentagon-Chef.

Das gestiegene Interesse der Abgeordneten am Schicksal der in die Ukraine gelieferten Waffen ist verständlich. Am Mittwoch verabschiedete das Repräsentantenhaus einen Gesetzentwurf über zusätzliche Hilfen für Kiew in Höhe von 40 Milliarden US-Dollar (der vom Senator Rand Paul allerdings blockiert wurde). Der kleinere Teil dieses Betrags ist für humanitäre Zwecke bestimmt, der größere für Militärausgaben. Um es zu verdeutlichen: 40 Milliarden US-Dollar sind 5 Prozent des gesamten Verteidigungsetats der USA.

Wie die Zeitung Wsgljad bereits zuvor feststellte, beträgt das Volumen des genehmigten Waffenwerts, das als US-Hilfe für die Ukraine bezeichnet wird, derzeit 13,6 Milliarden US-Dollar. Autorisiert wurde das Lend-Lease-Gesetz mit einem Anfangswert der zu liefernden Waffen und Ausrüstungen im Umfang von 82 Milliarden Dollar. Auf diese Weise übersteigt die Menge an US- und anderen westlichen Waffen, die an Kiew übergeben wurden, bereits um ein Vielfaches das, was der Westen während des zehnjährigen Krieges in Afghanistan an die Mudschaheddin lieferte.

Die Besorgnis der US-Amerikaner sei nachvollziehbar, wenn man bedenke, dass ein Großteil der gelieferten Waffen keine gepanzerten Fahrzeuge oder Haubitzen sind, sondern Handfeuerwaffen und tragbare Systeme, erklärte der Militärexperte Dmitri Drosdenko, ein Kolumnist der Zeitschrift Arsenal des Vaterlandes gegenüber Wsgljad. "Die amerikanischen Stinger MANPADS, Javelin-Panzerabwehrsysteme und die schwedisch-britischen tragbaren Panzerabwehrlenkraketen NLAW können den Terroristen im eigenen Land in die Hände fallen", so der Experte. Terroristen könnten einen Terroranschlag verüben, indem sie beispielsweise ein Flugzeug abschießen.

Ergänzend möchten wir anmerken, dass die ukrainischen Streitkräfte laut Business Insider bereits 7.000 Javelin-Raketen aus den USA erhalten haben. Großbritannien schickte etwa 1.000 NLAW-Raketenwerfer in die Ukraine. Nach Angaben des Generalstabschefs der US-Streitkräfte, Mark Milley, haben die Vereinigten Staaten insgesamt "60.000 Panzerabwehrwaffen und 25.000 Flugabwehrwaffen" der Ukraine zur Verfügung gestellt.

Gleichzeitig hat die Regierung Biden bemerkt, dass die Ukrainer "uns nicht über jedes einzelne Geschoss informieren". Nach Aussage des Pentagon-Sprechers John Kirby werden die Waffen, die das Verteidigungsministerium an bestimmte Einheiten liefert, nicht gekennzeichnet. Kirby sagte, dass die Lkw-Ladungen mit Waffen vom ukrainischen Militär – meist in Polen – abgeholt und dann in die Ukraine überführt werden.

"Wie die Erfahrung zeigt, werden diese Waffen aus der Ukraine wie aus jedem anderen Land mit lascher Kontrolle, in der Neonazi-Bataillone operieren und die keinem Oberkommando unterstellt sind, in andere Länder überschwappen, einschließlich der Länder, aus denen sie jetzt kommen", betonte der russische Außenminister Sergei Lawrow Mitte April in einem Interview mit dem TV-Sender Perwy Kanal.

Konkret verwies der Minister auf die Lieferung von tragbaren Flugabwehrsystemen. "Das ist die Waffe der Terroristen", erklärte Lawrow gegenüber der Nachrichtenagentur TASS. "Übrigens hatten wir mit den Amerikanern nicht umsonst viele Jahre lang ein Abkommen über die gegenseitige Unterrichtung hinsichtlich jeglicher Lieferungen von MANPADS ins Ausland."

Vize-Außenminister Oleg Syromolotow erinnerte seinerseits in einem Interview mit RIA Nowosti daran, dass gemäß dem von Wladimir Selenskij unterzeichneten Gesetz zur territorialen Verteidigung bereits 25.000 Waffen verteilt worden seien. "Auch die von den Kiewer Behörden aus den Gefängnissen entlassenen Straftäter erhielten sie", betonte Syromolotow. Nach Angaben des stellvertretenden Außenministers befanden sich in der Ukraine noch vor Februar dieses Jahres mehr als fünf Millionen Waffen im illegalen Umlauf.

Dieselbe Schätzung – etwa fünf Millionen "Waffen" – wurde bereits 2018 vom Leiter des Aufsichtsrates der ukrainischen Vereinigung der Waffenbesitzer, Georgi Utschaikin, abgegeben, wie Voyennoye Obozreniye bemerkt. Schon damals publizierte der Kiewer Obozrevatel die ungefähren Preise auf dem ukrainischen Schwarzmarkt – und erwähnte unter anderem, dass die MANPADS Strela-2 oder Igla "zu einem sehr erschwinglichen Preis" von 2.000 bis 3.000 Dollar erworben werden könnten.

Selbst in relativ ruhigen Jahren hatte die Ukraine den Ruf einer "Grauzone", durch die Waffen in instabile Regionen der Welt geschleust wurden. Im Jahr 2013 wurde in einem Bericht des UN-Sicherheitsrats festgestellt, dass die Ukraine (zusammen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, Albanien und Armenien) dem libyschen Regime von Muammar Gaddafi zwei Jahre zuvor Kleinwaffen und andere Waffen geliefert hatte, mit denen die UN-Sanktionen umgangen wurden. 2017 veröffentlichte die internationale NGO "Organized Crime and Corruption Reporting Project" (OCCRP) einen Bericht, aus dem hervorging, dass die Ukraine zu einem "Schlüsselelement" in einer Kette von Waffenlieferungen aus EU-Ländern an afrikanische Staaten wurde. Wie RBK (Moskau) berichtete, erwähnt der Bericht gepanzerte Fahrzeuge, die von einem ukrainischen Unternehmen in Polen gekauft wurden und schließlich in Uganda landeten. In demselben Jahr meldete Amnesty International die Beteiligung der Ukraine an Waffenverkäufen in den bekriegten Südsudan, obwohl sich Kiew formell dem EU-Waffenembargo gegenüber diesem afrikanischen Land angeschlossen hatte.

Eine Mengenschätzung von "Abflüssen" im Rahmen des gegenwärtigen Lend-Lease-Programms des Westens ist verständlicherweise schwierig. Laut einer Quelle des Telegram-Kanals "Nezigar" [@russica2] vom Mittwoch gehen "15 bis 20 Prozent der Waffen sofort nach Nord-, West- und Zentralafrika, wobei die Lieferung durch Berufssoldaten aus diesen Ländern erfolgt, die unter dem Deckmantel von PMC-Mitarbeitern in die Ukraine eingereist waren". Es wird behauptet, dass "die Zahlung in Kryptowährung und Bargeld erfolgt", überwacht wird der Vorgang durch den Leiter des Präsidialamts "Andrei Jermak und MI6-Mitarbeiter, die dem Büro des Präsidenten zugeordnet sind". Dem Telegram-Kanal zufolge "gelangen die aus westlichen Ländern gelieferten Waffen über eine Kette von Mittelsmännern unter hochrangigen IDF-Offizieren in den Nahen Osten, um anti-iranische Gruppierungen in Syrien und im Irak zu stärken, oder werden auf kommerzieller Basis an den Jemen und Myanmar weiterverkauft". Außerdem wird berichtet, dass sich der Gesamtumsatz der Sekundärverkäufe auf dem "ukrainischen Waffenmarkt" auf 700 Millionen Dollar pro Monat beläuft, wobei die Einnahmen aus Kryptowährungen nicht berücksichtigt sind.

Der Militärexperte Drosdenko geht ferner davon aus, dass "ein erheblicher Teil" der in die Ukraine gelieferten Waffen, insbesondere der tragbaren – Panzerabwehrlenkwaffen und MANPADS – längst auf dem Schwarzmarkt gehandelt wird, der "einfach riesig" ist und vom Volumen her nur vom Drogenhandel übertroffen wird. Den Schätzungen von Experten der amerikanischen NGO "Global Financial Integrity" zufolge macht der illegale Waffenhandel 10 Prozent der weltweiten Waffengeschäfte aus. Im Vergleich dazu wurde das weltweite Volumen des legalen Imports und Exports von konventionellen Waffen bis Ende 2021 auf 99,6 Milliarden Dollar geschätzt, so das "Center for Analysis of International Arms Trade" (CAMTO).

"Waffen aus der Ukraine könnten nach Afrika fließen und von dort nach Europa und in die USA gelangen", fährt Drosdenko fort. "Außerdem könnte ein Großteil der Waffen für andere Konfliktgebiete wie den Irak, Syrien und Libyen bestimmt sein, wo die Nachfrage nach schweren Waffen in ausreichender Menge besteht, um für Schwarzmarkthändler rentabel zu sein."

Laut Drosdenko gibt es Vereinbarungen zwischen den Ländern, denen zufolge die gleichen MANPADS nicht auf den Schwarzmarkt gelangen dürfen. "Doch die USA haben durch die Aufrüstung der Ukraine selbst gegen Rüstungskontrollvereinbarungen verstoßen", wie unser Außenministerium betonte.

Die größte Gefahr liege darin, was nach dem Ende der Feindseligkeiten mit den Waffen geschehen wird, sagte der Militärexperte Wladislaw Schurigin. "In Afghanistan wurden die US-Soldaten wegen eines aufgegebenen Magazins, ganz zu schweigen von ein paar Stinger und einer Javelin, mit einem Freifahrtschein ohne Anspruch auf Sozialleistungen aus der Armee geworfen, sie wurden strafrechtlich verfolgt. Die Amerikaner sind fassungslos darüber, wie die Ukrainer Hunderte von sehr teuren Waffen und Munition einfach verstreuen", sagte Schurigin.

Ihm zufolge sind die Amerikaner auch deshalb besorgt, weil sie von den größeren Waffen – Artillerie- und Raketensystemen – das gleiche wenig beneidenswerte Schicksal erwarten. "Das Letzte, was das Pentagon will, ist, dass all diese Waffen in die Hände der Russen und auf die weltweiten Waffenmärkte fallen. Diese Stellungnahme von Austin ist also ein Vergießen von Krokodilstränen", so der Militärexperte. "Verständlich, dass angesichts der Entwicklung der Situation an der Front die Waffen sowieso auf den Schwarzmarkt fließen werden. Und daran kann das Pentagon nichts ändern."

Doch, so meint der Gesprächspartner, die geopolitische Logik der Konfrontation mit Russland erweise sich stärker als jegliche Sicherheitsüberlegungen. "Der Kreuzzug gegen Russland übertrifft alle Gesetze, den Instinkt zur Selbsterhaltung. Der Einsatz ist zu hoch. Der Einsatz ist die Zukunft der Welt auf amerikanische Art. Sollten sie Russland vernichten können, so werden sie für die nächsten Jahrzehnte ein Hegemon sein. Wenn dies nicht gelingt, dann wird das gesamte globale System, das die Amerikaner aufgebaut haben, zu bröckeln beginnen, und deshalb kümmern sie sich nicht um ihre eigenen Gesetze", schloss Schurigin.

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Übersetzt aus dem Russischen. Dieser Artikel erschien zuerst bei VZ.ru.

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